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QS-Blog

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Händchen für Federvieh

22. August 2019
Dr. Erwin Sieverding wohnt dort, wo in Deutschland die meisten Schweine leben: Aufgewachsen im niedersächsischen Vechta, praktiziert er seit 30 Jahren in Lohne. Macht ihn das – angesichts der drohenden Afrikanischen Schweinepest – unruhig? „Nein, auch die Einwohner von San Francisco werden nicht nervös, nur weil ein Erdbeben überfällig ist.“ Sollte der Virus nach Deutschland gelangen, so vermutet Sieverding, dann über osteuropäische Fernfahrer, die auf nicht eingezäunten Rastplätzen ihr Wurstbrot wegwerfen und darüber Wildschweine infizieren.

FACHTIERARZT FÜR GEFLÜGEL UND SCHWEINE: DR. ERWIN SIEVERDING

Alle Bemühungen, Antibiotika zu reduzieren, haben letztlich ein Ziel:Sie wollen multiresistente Krankheitskeime zurückdrängen. Hoftierärzte wie Dr. Erwin Sieverding verringern seit Jahren die Antibiotikamenge, die sie in ihren Betrieben benötigen. Was aber kommt, wenn die Talsohle erreicht ist? „Zum Hofe“ hat Sieverding das – und einiges mehr – gefragt. Der Fachtierarzt für Geflügel und Schweine praktiziert seit 30 Jahren im niedersächsischen Lohne, Landkreis Vechta, und führt dort die „Praxis Am Bergweg“.

Jedes Jahr sinkt die Antibiotika-Verbrauchsmenge in der deutschen Nutztierhaltung. Ob HIT- oder QS-Datenbank, beide Monitorings sprechen dieselbe Sprache. „Zudem vergleichen wir unsere Verbrauchsmengen seit einem Jahrzehnt praxisintern“, ergänzt Sieverding. „In der ersten Zeit konnten wir jährlich um die zehn Prozent reduzieren, jetzt werden die Sprünge immer kleiner, sie liegen bei zwei oder drei Prozent.“ Und was kommt, wenn der Bodensatz erreicht ist? Wenn die Antibiotikamengen, die an krank gewordene Tiere verabreicht werden, bei einer gewissen notwendigen Tonnage angekommen sind? „Dann wird es Wirkstoffe geben, die nur noch in der Einzel-, aber nicht mehr in der Bestandsbehandlung zulässig sind“, prognostiziert Sieverding. „Oder
sie werden, das sehe ich für die Reserveantibiotika (kritische Antibiotika) kommen, allein für die Humanmedizin reserviert.“ Auf neu entwickelte Antibiotika, die auch der Nutztierhaltung zugutekommen könnten, hofft er nicht: „Wer investiert denn in einen Diesel, wenn alle einen Elektromotor wollen?“ Ein interessanter Vergleich.

Der Hoftierarzt, den Sieverding als Kind erlebte, prägte seinen späteren Berufswunsch. „Ich erinnere mich noch genau an ihn: Dr. Bernd Berding, das war ein irrer Typ mit breitkrempigem Hut, Rauschebart und langem Mantel“, erzählt er. „Ich kannte ihn nur fröhlich und er brachte meine Mutter zum Lachen. Dass ich heute Tierarzt bin, daran ist zu 99,9 Prozent Bernd Berding schuld.“ Von Sieverdings vier eigenen Kindern haben sich übrigens drei für Medizin entschieden, zwei für Veterinärmedizin. Das Vorbild wirkt noch nach.

Was also wäre der E-Antrieb im Bestandsmanagement? Sieverding zählt auf: Impfungen zuerst und dann der Mut zu Neuem, Mut zu Versuchen. So interessiert er sich selbst für pflanzliche Produkte und ihre Wirkung auf Keime. Bei internen Laborversuchen stellte seine Mannschaft – „natürlich immer nur in vitro“ – eindeutige Wirksamkeiten fest. Effekte, die sich in der späteren Praxis nicht immer beweisen. „Aber, wer was Neues wagt, bei dem läuft auch mal was schief“, hebt er an und kommt ins Erzählen: „Wir hatten beispielsweise ein Oregano-Extrakt eines spanischen Herstellers aufgetan und in einem Putenstall ausprobiert, in dem wir das Trinkwasser damit versetzten.“ Das ätherische Öl des Oregano kann antiviral, fungizid und antibakteriell wirken, etwa bei Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. „Die Puten haben es richtig gut gesoffen – und wir waren begeistert. Als wir aber Nachschub bestellten und den einsetzten, ging kein Tier mehr an die Tränke, obwohl genau das gleiche Produkt in derselben Konzentration enthalten war.“ Warum? Sieverding kann nur vermuten. Aber klar ist, dass Ernten variieren und nicht, wie Pharmazeutika, per se einmal festgelegten Standards entsprechen.

Das gilt auch für ein anderes Thema, das den Hoftierarzt interessiert: für Bakteriophagen. Das sind Viren, die sich zur eigenen Vermehrung in Bakterien einnisten und diese vernichten. Phagen können etwa dann helfen, wenn es um multiresistente Keime geht, wenn Antibiotika machtlos geworden sind. Weltweit führend in der Phagenforschung und -therapie ist das „Georgi-Eliava-Institut für Bakteriophagen, Mikrobiologie und Virologie“ im georgischen Tiflis („Zum Hofe“ berichtete in der Ausgabe 02/2018). Sieverding hat es längst besucht, wie alle, die sich in antibiotikaresistenten Zeiten für die „Bakterienfresser“ interessieren. Auch beim Ersten Deutschen Bakteriophagen-Symposium, das die Universität Stuttgart-Hohenheim 2017 ausrichtete, war
der Tierarzt dabei. Dass alle Impulse, die er in Sachen Phagentherapie erhält, rein aus der Humanmedizin stammen, verschreckt ihn nicht. Vor Kurzem investierte Sieverding in eine neue GmbH, die KTM, sie beschäftigt sich mit „Komplementärer Tiermedizin“, daher die Abkürzung. Eine Veterinärin vom Georgi-Eliava-Institut, mit dem er kooperiert, arbeitet hier. Die Zeichen stehen auf Start.

Aufgewachsen ist Sieverding mit vier Geschwistern auf einen Bauernhof im nahe gelegenen Vechta: „20 Milchkühe, 20 Bullen, 500 Schweine, dazu Hühner. Bei uns sah es so aus, wie es grüne Politiker heute propagieren“, sagt er, „nur schade, dass unser Pachtbetrieb längst stillgelegt werden musste. Er war ein Auslaufmodell.“

Wäre da nur nicht all die Überzeugungsarbeit, die beim Thema Bakteriophagen noch zu leisten ist. „Nicht bei den Landwirten, die sind offen für neue Ideen“, sagt Sieverding und legt die Stirn in Falten. Nein, was ihm Sorgen bereitet, sind die Zulassungssysteme. „Impfstoffe haben es schon schwer, aber etwas so Dynamisches wie die Phagentherapie passt da einfach nicht hinein. Wir haben es hier mit vitalen Mikroorganismen zu tun, wir behandeln Lebendiges mit Lebendigem“, erklärt er. „Behörden aber wollen feste Zulassungskriterien und damit eindeutige Kontrollparameter.“ Zumal dann, wenn es, wie in der Nutztiermedizin, um die Erzeugung von Lebensmitteln geht. Aufmerksam beobachtet Sieverding deshalb, wie das Ausland auf die so populär gewordenen Bakteriophagen reagiert. In Kanada, Neuseeland, aber auch in den Niederlanden und den USA werden beispielsweise seit Jahren die Innenbeschichtungen von Lebensmittel-Verpackungen mit Phagen besprüht, um eine Kontaminierung mit Salmonellen zu verhindern. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA bewertet die Praxis als völlig unbedenklich.

Überhaupt ist Sieverding ein Freund der Prophylaxe, in ihr sieht er den Schlüssel zu einem gesunden Bestand. Ihm gefallen branchenweite Projekte, die sich der Vorbeugung verschrieben haben, etwa die Geflügelpest-Risikoampel, die auf die Seuchenzüge von 2016/17 reagiert. Das OnlineTool wurde im letzten Jahr von der Universität Vechta und dem Friedrich-Loeffler-Institut entwickelt, unterstützt von dem Niedersächsischen Geflügelwirtschaftsverband, dem Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft und der QS Fachgesellschaft Geflügel. Es stellt im Multiple-ChoiceVerfahren 100 Fragen zur individuellen Biosicherheit des Betriebs. „Das ist super. Jeder Landwirt kann sich in sein stilles Kämmerlein setzen und für sich allein prüfen, wie
es um seine betriebliche Biosicherheit bestellt ist. Er muss sich nicht outen, bekommt aber ein eindeutiges Feedback und weiß hinterher, was er besser machen kann“, so Sieverding. „Was ich mir nur noch wünschen würde, ist eine Trennung zwischen Puten- und Broilermast, die Systeme unterscheiden sich in der Praxis doch erheblich.“

Früher schrieb er Fachbücher, heute konstruiert Sieverding für den Stall: Gemeinsam mit seinem Praxisteam entwickelte er eine Zange zum tierschutzgerechten Töten von Hausgeflügel. „Wenn Tiere nicht gesunden wollen, müssen sie erlöst werden. In vielen Betrieben läuft dies aber nicht optimal“, erklärt er. Speziell bei größerem Geflügel mit mehr als drei Kilo Körpergewicht soll die neue Zange nun Abhilfe schaffen. Entsprechend der tierschutzgerechten Tötung fixiert sie zunächst das Tier, betäubt und erlöst es schließlich.

Dass Sieverding jemals Sätze dieser Art sagen würde, hätte er übrigens als junger Tierarzt nicht gedacht: „Geflügel, ganz ehrlich, da hab ich keine Ahnung von“, entfuhr es ihm, 1988, als ihm in Lohne eine Assistentenstelle angeboten wurde. Die Praxis war auf Geflügel spezialisiert. „Zum Glück gab es nebenbei auch noch ein paar Schweine. Die wollte von den anderen keiner machen, also hab ich als Jüngster damit losgelegt“, erinnert sich der Fachtierarzt für Schweine. „Und es war eine tolle Zeit! Damals hat sich das ganze Produktionssystem revolutioniert. Desinfektion war bis dato noch ein Fremdwort. Da wir aber den Background aus der Geflügelhaltung hatten, die Tierhalter dort waren längst im Rein-Raus-Verfahren unterwegs, konnten wir uns für die Schweinehaltung viel abgucken.“ Fünf Jahre später stieg Sieverding als Partner bei seinem Arbeitgeber ein, er machte seinen Fachtierarzt für Geflügel und übernahm 2010 – zusammen mit dem Sohn des Praxisgründers – die Geschäftsführung der heutigen Praxis Am Bergweg.

Sieverding betreut Bestände mit Puten, Broilern, Legehennen und Schweinen. Die Gemeinschaftspraxis beschäftigt zehn Tierärzte, von denen fünf auch Gesellschafter sind. Eine Impfmannschaft, ein Vertrieb für Farmhygiene und ein Sektionsbereich kommen hinzu, jeweils organisiert als eigene GmbH. Die klare Trennung gefällt dem 58-Jährigen, das gilt auch für sein Geschäfts- und Privatleben. Ihre Vorteile lernte er bereits als Berufsanfänger in England, dem „Mutterland der Schweinehaltung“, kennen. „Da gab es damals schon große Gemeinschaftspraxen und die Inhaber wohnten nie im Praxishaus, so wie in Deutschland lange noch üblich“, erinnert er sich. Aber auch die Heimat, in die er nach seiner Englandzeit zurückkehrte, wartete mit einer prägenden Erkenntnis auf: „Offen sein für Neues und nicht bei der eigenen Wahrheit stehen bleiben“, heißt sie. Wie es dazu kam? „Nach meiner Heimkehr
tourte ich durch die Lande und vertrat Tierärzte, die krank geworden waren oder einfach mal in den Urlaub wollten“, erzählt Sieverding. „Alle paar Wochen
ging es in eine andere Praxis. Das Erstaunliche aber war: Wenn mich der erste Kollege auf die eine Behandlung einschwor, tat es der zweite genau auf das
Gegenteil. Und beides funktionierte!“ Es bleibt also dabei: Viele Wege führen nach Rom. Und wer ankommen will, der muss schon mal umdenken.

SCHWANKENDER ANTIBIOTIKAVERBRAUCH

Seit 2014 reduzierte sich der Antibiotikaverbrauch in Putenbeständen erheblich. Wer sich die aktuellen Zahlen aus dem QS-Antibiotikamonitoring genauer anschaut, dem fällt aber ein leichter Anstieg im Jahr 2018 auf. Dr. Erwin Sieverding macht hierfür die schlechte Strohernte 2017 verantwortlich, die nachfolgend als Einstreu in die Ställe kam: „In allen Putenbeständen stehen die Tiere auf Stroh. In dem sehr nassen Jahr 2017 wurde es feucht geerntet und feucht gelagert, das ließ die Pilzkonzentration ansteigen. Sie belastete das Immunsystem der Tiere, so dass Krankheitserreger ein leichteres Spiel hatten und letztlich der Antibiotikaeinsatz anstieg.“ Der Geflügel-Fachtierarzt nimmt in jedem Jahr Strohproben in rund einem Dutzend seiner Betriebe. Natürlich sind das nur Stichproben, aber sie zeigen im Vergleich eine deutlich erhöhte Aspergillen-Belastung für das 2017 eingefahrene Stroh.“ Das gelte auch für Strohpellets, die bei ihrer Herstellung zwar erhitzt würden, aber nicht dergestalt, dass alle Pilze absterben.

 

Landwirtschaft

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