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“Ohne Perspektiven und Planungssicherheit wird nicht investiert”

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19. Juni 2019

INTERVIEW MIT QS-GESCHÄFTSFÜHRER DR: HERMANN-JOSEF NIENHOFF (erschienen in Agrar-Europe, Ausgabe 25 vom 17. Juni 2018) 

Der Geschäftsführer der QS Qualität und Sicherheit GmbH, Dr. Hermann-Josef Nienhoff, über irrationales Verbraucherverhalten, die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Konsenses über die Zukunft der Tierhaltung und die Chancen einer Branchenvereinbarung.

AGRA-EUROPE: Immer mehr Bundesbürger wollen sich ethisch korrekt ernähren. Ein steigender Anteil insbesondere junger Menschen verzichtet mittlerweile ganz auf Fleisch. Wie nehmen Sie diesen Trend wahr?

Nienhoff: Fleisch und Wurst sind in Deutschland nach wie vor eines der Lieblingsnahrungsmittel der Bundesbürger. Laut Ernährungsreport 2019 des Bundeslandwirtschaftsministeriums kommen sie bei 28 % der Deutschen täglich auf den Tisch, bei Milch und Eiern sind es sogar noch mehr. Allerdings ist der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch in Deutschland rückläufig. Das hat zuletzt eine AMI-Studie im vergangenen Jahr gezeigt. Sehr deutlich zeigt sich das beim Verzehr von Schweinefleisch. Die leichten Zuwächse beim Konsum von Rind- und Geflügelfleisch können das nicht kompensieren.

Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken


AGRA-EUROPE:
Woher kommt Ihrer Einschätzung nach diese kritische Grundhaltung gegenüber dem Fleischkonsum?

Nienhoff: Sehr viele Bürger  haben in Bezug auf die Tierhaltung ein Bild im Kopf, das dem einer „Museumslandwirtschaft“ ähnelt, sieben grasende Kühe auf der grünen Wiese oder eine Sau mit zehn quiekenden Ferkeln in der Sule. Dann sehen sie im Fernsehen oder in den Social-Media-Kanälen unschöne Bilder aus der Tierhaltung, hören oder lesen kritische Berichte über die Nutztierhaltung, die dramatische Zustände vermitteln und die sich konträr zu ihrem und dem von der Werbung transportierten Bild der Tierhaltung darstellen. Wer soll da nicht empört sein? In der Folge fordert der Verbraucher, dass in der konventionellen Nutztierhaltung alles anders werden muss.


AGRA-EUROPE: Umso erstaunlicher ist dann, dass Verbraucher trotzdem das Fleisch dieser Tiere im Supermarkt einkaufen. Warum ist das so?

Nienhoff: Das menschliche Verhalten ist nicht rational zu erklären: Die Konsumgesellschaft empört sich und isst Fleisch! Der Verbraucher lebt gut mit dieser Paradoxie. Billiges Fleisch kaufen und gleichzeitig das beste Tierwohl fordern. Die öffentliche Wahrnehmung wird von den lauten, kritischen Konsumenten bestimmt, die mit ihrer Meinung über die Social-Media-Kanäle an die Öffentlichkeit gehen. Demgegenüber steht die große Masse der Konsumenten, die sogenannte „Silent Majority“, die ihre Meinung durch nichts anderes zum Ausdruck bringt, als durch ihr Kaufverhalten. Diese Verbraucher kaufen vor allem preisbewusst und angebotsorientiert.


AGRA-EUROPE
: Tierwohl spielt für diese Konsumenten keine Rolle?

Nienhoff: Doch. Auch diese Verbraucher fordern, dass es den Tieren gut gehen soll, bevor ihr Fleisch auf dem Teller landet. Nach einer Kassenzonenbefragung der Hochschule Osnabrück fordern 76 % der Verbraucher eine artgerechte Tierhaltung. Was artgerecht ist und wie Tiere in der Praxis gehalten werden, darüber haben die wenigsten Verbraucher allerdings tatsächlich Kenntnisse. Dies zeigen die Ergebnisse der Studie „SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft“. Danach haben 70 % der Verbraucher kein Hintergrundwissen über die Tierhaltung. Gleichzeitig halten jedoch 80 % von ihnen die gängigen Haltungsformen für verbesserungswürdig.

Grafik: Kassenzonenbefragung 2018, Universität Osnabrück (Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken)

 

AGRA-EUROPE: Welche Rolle spielen dabei schockierende Bilder, die Tierrechtler bei Stalleinbrüchen aufgenommen haben?

Nienhoff: Die Wirkung solcher Filmaufnahmen und Schockfotos, die ein völlig verzerrtes Bild von den wahren Verhältnissen zeichnen, ist nicht zu unterschätzen.


AGRA-EUROPE
: Tatsächlich gibt es immer wieder schwarze Schafe, die die ganze Branche in Verruf bringen. Herrscht noch zu viel Korpsgeist, anstatt sich scharf zu distanzieren?

Nienhoff: Nach meinem Eindruck gilt das nicht mehr in der Form, wie vielleicht noch vor einigen Jahren. Aber, Sie haben Recht, es gibt leider vereinzelt nach wie vor unschöne Zustände auf wenigen Betrieben. Aus diesem Grund müssen wir alle, muss die ganze Branche, klarmachen, dass solche Verhältnisse in der Tierhaltung absolut unentschuldbar sind und unterbunden werden müssen.


AGRA-EUROPE
: Was heißt „vereinzelt“, „auf wenigen Betrieben“?

Nienhoff: Dazu genügt ein Blick auf die Ergebnisse aus den Kontrollen im QS-System: Im vergangenen Jahr haben 98 % der Tierhalter ihre QS-Audits erfolgreich bestanden. Das Ergebnis zeigt, dass die Tierhaltung in Deutschland hohen Ansprüchen gerecht wird und sich ein gutes Ansehen verdient hat. Aber auch wir müssen in unseren Kontrollen hier und da Missstände registrieren und diese müssen konsequent abgestellt werden. Mangelhafter Tierschutz in einzelnen Ställen muss unterbunden werden. Und zwar ohne Wenn und Aber. Andernfalls bieten sich Aktivisten und Tierrechtsorganisationen, die bekanntlich nicht vor Stalleinbrüchen zurückschrecken, Gelegenheiten, um gezielt skandalträchtiges Bildmaterial zu ergattern und damit ihr Geschäftsmodell zu realisieren. Unabhängig davon sollten selbstverständlich alle Wirtschaftsbeteiligten sowie die Politik dafür eintreten, die Landwirte vor Stalleinbrüchen sowie vor einseitigen und skandalisierten Berichten zu schützen.


AGRA-EUROPE
: Trotzdem bleibt der Widerspruch: Auf der einen Seite löst jeder Skandal eine Welle der Empörung aus. Aber auf der anderen Seite greifen die meisten Verbraucher offenbar unbeeindruckt zum günstigen Fleisch. Wie geht das zusammen?

Nienhoff: Die Verbraucher meistern diese Widersprüchlichkeit, indem sie manches einfach ausblenden – oder andere für verantwortlich erklären. Eine Studie der Heinz-Lohmann-Stiftung aus dem Jahr 2015, die vom Rheingold Institut durchgeführt wurde, kommt in diesem Punkt zu folgendem Schluss: „Die Produzenten, sprich Tierhalter, Fleischwirtschaft werden zu Sündenböcken, die die empörenden Verhältnisse zu verantworten haben. Der eigene Konsum wird dadurch entlastet und entschuldigt.“ 


AGRA-EUROPE: Das Thema der sich ändernden gesellschaftlichen Anforderungen an Landwirtschaft im Allgemeinen und speziell an die Tierhaltung beschäftigt die Gemüter seit langem. Was hat sich getan?

Nienhoff: Als wir vor 20 Jahren in der BSE-Krise steckten, hat die Wirtschaft mit einem Kraftakt das QS-System aus der Taufe gehoben. Daraus ist vor fünf Jahren die Initiative Tierwohl erwachsen – ein Lösungsweg, der angepackt wurde und funktioniert! Die ITW ist jetzt in der zweiten zuverlässigen Umsetzungsphase, die von 2018 bis 2020 läuft. In der Summe werden dann in den sechs Jahren etwa 650 Mio. Euro in die Verbesserung des Tierwohls investiert worden sein – umgesetzt von Tierhaltern, verlässlich, belegbar und kontrolliert – und finanziert vom Lebensmitteleinzelhandel. Ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist die vom Handel initiierte Einführung der 4-stufigen Haltungsform-Kennzeichnung, die jetzt auf den Verpackungen in den Supermärkten zu finden ist. Durch sie kann der Verbraucher auf den ersten Blick erkennen, unter welchen Bedingungen das Tier, von dem das Fleisch stammt, gehalten wurde und danach seine Kaufentscheidung bewusst treffen.


AGRA-EUROPE
: Soweit die Aktivitäten der Wirtschaft. Was ist mit den anderen Akteuren auf dem Spielfeld, der Politik insbesondere?

Nienhoff: Die Politik, und da meine ich nicht nur die Parteipolitik, verliert sich meines Erachtens in unterschiedlichen Vorstellungen. Die Diskussion zur geplanten staatlichen Tierwohlkennzeichnung zeigt dies deutlich. Hier einen wirklich machbaren, anerkannten und in den Märkten akzeptierten Weg zu ebnen ist kaum zu schaffen. Das Ganze krankt aber schon daran, dass es freiwillig und nicht verbindlich sein soll. Für die Glaubwürdigkeit wäre es meines Erachtens wichtig, von Anfang alle Fleischarten und alle Vermarktungswege, einschließlich der Fleischwaren und Großverbraucher/Gastronomie, einzubeziehen.


AGRA-EUROPE: Außer Frage steht, dass Tierwohlaspekte für den Markterfolg immer wichtiger werden. Warum stellen nicht noch mehr Landwirte die Weichen in diese Richtung?

Nienhoff: Ohne Perspektiven und Planungssicherheit wird nicht investiert! Dies gilt erst recht, wenn der Markt nicht aufnahmefähig oder zahlungsbereit ist. Seit Jahren macht die Schweinehaltung einen schwierigen Prozess durch. Nach einer ISN-Studie wollen aktuell 30 % der Schweinemäster ihren Betrieb innerhalb der nächsten 10 Jahre aufgeben. Ein noch dramatischeres Bild zeigt sich bei den Sauenhaltern: Hier will über die Hälfte der Betriebe in Deutschland innerhalb der nächsten Jahre aussteigen. Die Gründe sind vielfältig: Die überwiegend kritischen Berichte über die Tierhaltung und die Unbestimmtheit in der politischen Diskussion, die Summe der zu erfüllenden Auflagen, etwa zum Kupierverzicht, zur Ferkelkastration oder zum Düngerecht und damit die fehlende Perspektive. In einer solch unsicheren Situation wird kaum jemand in alternative Systeme, tierwohlgerechte Stallneubauten oder in die ökologische Tierhaltung investieren.


AGRA-EUROPE: Wie verlässlich sind nach Ihrer Einschätzung Bekundungen von Verbrauchern, mehr Geld für Fleisch auszugeben, das unter besonders tiergerechten Bedingungen produziert wurde?

Nienhoff: Laut des bereits erwähnten Ernährungsreports 2019 ist die Hälfte der Befragten bereit, bis zu 50 % mehr für Fleisch aus tierfreundlicher Produktion zu bezahlen. Ein Fünftel hat angegeben, sogar noch tiefer in die Tasche zu greifen und den doppelten Preis zu bezahlen.

Grafik: BMEL-Ernährungsreport 2019 (Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken)


AGRA-EUROPE: Sie trauen dem Braten nicht…

Nienhoff: Nein. Die politisch Verantwortlichen sollten aufhören, der Gesellschaft oder den Wirtschaftsbeteiligten solche Traumnoten vorzugaukeln. Spätestens beim Zahlen an der Supermarktkasse wird dieser Wunsch nach mehr Tierwohl entlarvt. Die in Umfragen geäußerte Haltung und das tatsächliche Kaufverhalten liegen – das belegen die Zahlen – weit auseinander. Neben der Wirklichkeit an der Supermarktkasse zeigen auch andere Studien wie etwa die Eurobarometer-Umfrage zur Zahlungsbereitschaft für Tierwohl aus dem Jahr 2016 ein anderes Bild. Der Verbraucher wird das Problem nicht wirklich lösen, weil er sich mit der Paradoxie von „billig kaufen und Tierwohl fordern“ arrangiert hat.

Grafik: Special Eurobarometer Frühjahr 2016 (Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken)


AGRA-EUROPE: Wie kann es unter diesen Vorzeichen gehen, die Zukunft der Nutztierhaltung und die gesellschaftlichen Erwartungen zusammenzubringen?

Nienhoff: Ein gesellschaftlicher Konsens über die Zukunft der Tierhaltung ist alles andere als einfach zu erreichen. Trotzdem müssen wir da hinkommen. Klar ist, wie es nicht geht: Wenn jede Gruppe nur ihr Süppchen kocht! Das gilt auch für die Regierungen in Bund und Ländern, mit all den Arbeitsgruppen und Kompetenzkreisen. Wenn jeder nur seine eigenen Ziele verfolgt und das Ganze nicht interessenübergreifend und bundesweit koordiniert wird, kann ich darin nicht viel mehr erkennen als Beschäftigungstherapien. .


AGRA-EUROPE
: Was würde denn nach Ihrer Auffassung funktionieren?

Nienhoff: Wir brauchen eine klare Aufarbeitung der Zielkonflikte, aber auch die Bereitschaft, dem anderen zuzuhören und die eigene Haltung zu überprüfen. Kompromissbereitschaft auf allen Seiten ist unabdingbar. Ich bin überzeugt, nur die Branche selbst kann der ökonomischen Realität Rechnung tragen, ohne die es nicht geht. Dies reicht von den Verflechtungen in den Märkten einschließlich der Preisbereitschaft der Verbraucher, über die verschiedenen Vertriebswege und den Kosten für die gesamte Kette bis zu den Zielkonflikten. Wenn die Wirtschaftsbeteiligten in Deutschland weitere Schritte in der branchenweiten Zusammenarbeit  gemeinsam anpacken, Impulse setzen und aktiv auf die Gesellschaft zugehen, wäre das schon die halbe Miete. Ohne Verständigung in der Branche werden wir an den verschiedensten Stellen zwar diskutieren, aber nicht zu Ergebnissen und zu Planungshorizonten für Tierhalter kommen.


AGRA-EUROPE
: Wie steht’s um die Verständigungsbereitschaft innerhalb der Branche?

Nienhoff: Ich bleibe optimistisch, weil das Bewusstsein dafür bei den Beteiligten vorhanden ist. Den meisten ist klar: Aussitzen ist keine Alternative. Vielmehr sollte die Agrar- und Fleischwirtschaft gemeinsam mit dem LEH das Thema proaktiv angehen.


AGRA-EUROPE
: Wie?

Nienhoff: Ich schlage eine Branchenvereinbarung der Wertschöpfungskette vor. Die sollte die Grundlage für eine stärkere Kooperation bilden und eine verlässliche Orientierung für Erzeuger, Verarbeiter und Händler bieten.


AGRA-EUROPE
: Wie verlässlich kann eine solche Vereinbarung sein?

Nienhoff: Sehr, wenn sie konkrete Schritte und Maßnahmen zur Entwicklung und Veränderung der landwirtschaftlichen Tierhaltung in den nächsten 20 Jahren enthält. Dies wäre ein Angebot an die Politik, die Anspruchsgruppen und die Gesellschaft, das unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen könnte. Käme eine solche Branchenvereinbarung zustande, könnte man darauf aufbauend flankierende gesetzliche und finanzielle Maßnahmen vereinbaren, ohne die es nicht gehen wird. Aber bitte miteinander und nicht aneinander vorbei!

AGRA-EUROPE: Wie schätzen Sie die Aussichten für einen solchen Weg ein?

Nienhoff: Wenn wir uns vergegenwärtigen, was wir mit der Initiative Tierwohl bereits erreicht haben, bin ich zuversichtlich, dass wir diesen nächsten Schritt auch gehen werden. Voraussetzung ist allerdings der Wille dazu.


AGRA-EUROPE: Vielen Dank.

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1 comment on ““Ohne Perspektiven und Planungssicherheit wird nicht investiert””

  1. Michael Linkert sagt:
    19. Juni 2019 um 16:12 Uhr

    Eigentlich gut gedacht: “Durch sie kann der Verbraucher auf den ersten Blick erkennen, unter welchen Bedingungen das Tier, von dem das Fleisch stammt, gehalten wurde und danach seine Kaufentscheidung bewusst treffen.”
    Aber wenn fast nur Fleisch der Haltungform 1 angeboten wird, kann ich als Verbraucher meinen Wunsch nach mehr Tierwohl eben nicht durch meine Kaufentscheidung ausdrücken.

    Antworten

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