Sie sprechen dieselbe Sprache – das führte zum Erfolg: Hoftierarzt Dr. Rolf Nathaus und Landwirt Heinrich Lohmann betreiben zusammen moderne Bestandsbetreuung in einer Schweinehaltung. Ort des Geschehens ist ein alteingesessenes Familiengehöft in Ascheberg. „Zum Hofe“ war beim Betriebsrundgang dabei.
Mit langen Schritten durchmisst Heinrich Lohmann den Flur und öffnet. Alles hier ist groß: die zweiflügelige Haustür, die Eingangshalle, die Deckenhöhe – und Lohmann selbst, dessen Kopf jeden Besucher überragt. Mit 1,97 ist auch schon sein Junior, das älteste der vier Kinder und der Hofnachfolger, ein „Großer“. Er absolviert gerade seine Ausbildung und plant ein landwirtschaftliches Studium obenauf. So ist es also – noch – an seinem Vater, die Geschicke hier auf „Hambrok“ zu lenken. In wievielter Generation? Das weiß niemand so genau. 1425 wurde das Anwesen erstmals erwähnt. „Wenn Sie im Garten ein Loch von einsfünfzig buddeln, dann stoßen Sie schon auf einstige Fundamente“, erzählt Heinrich Lohmann. Es ist eben altes Land hier, altes Bauernland.
Milchvieh, Rinder, Bullen, Hühner, Sauen, Mastschweine – sein Vater führte noch einen gemischten Hof. Typisch für seine Zeit. 1972 stellte Familie Lohmann um: Neben rund 100, zum großen Teil gepachteten Hektar Ackerland gehören heute 320 Sauen und rund 1.000 Mastplätze zum Betrieb. Zwei Drittel seiner Ferkel verkauft er an zwei Höfe in Ascheberg, den Rest mästet er selbst. Zwei Auszubildende und eine Aushilfe unterstützen ihn dabei.
Die Zusammenarbeit Lohmann/Nathaus begann vor einem guten Jahr. Damals gab es Probleme: zu viel Verluste auf dem Flatdeck. „Nach dem Absetzen bekamen die Ferkel Fieber und litten unter Atemwegserkrankungen, man konnte die Uhr danach stellen“, erinnert sich Lohmann. Durchfälle kamen hinzu. Das führte zu vier Prozent Verlusten. Aber wo lag die Ursache? Intensiv suchte er mit seinem damaligen Tierarzt nach einer Lösung. Nachdem die sich aber einfach nicht einstellen wollte, nahm er Kontakt auf zum „Vet-Team Reken“, einer auf Schweinehaltung spezialisierten Gemeinschaftspraxis. Hier traf er auf Rolf Nathaus. „Ich musste einfach jemand Neues ausprobieren, das war so eine Gefühlssache“, erinnert sich der Landwirt. „Und neue Besen kehren ja bekanntlich gut“, wirft der Veterinär lachend ein. Die beiden mögen sich. Für den Hoftierarzt liegt genau hier die Grundlage einer erfolgreichen Zusammenarbeit. „Man muss schon eine Sprache sprechen, sich vertrauen können. Wenn die Chemie nicht stimmt, läuft alles schwer“, erläutert er. Bei Lohmann/Nathaus stimmt die Chemie. Sie sind beim vertrauten Du. Es wird gern gelacht und auch für ein Anekdötchen bleibt noch Zeit.
Doch zurück zum Flatdeck-Problem: Seine Wurzel lag in zu fein gemahlenem Futter. „Da muss man erst mal hinkommen. Zumal der Futterberater diese Ursache ausschloss. So haben wir uns zunächst nur mit den Komponenten beschäftigt, mit dem Wasser und was weiß ich noch alles“, erzählt Lohmann. Das feine Mehl aber löste die Durchfälle aus und die wiederum schwächten das Immunsystem der Tiere. Ein Einfalltor für Erreger, in diesem Falle Streptokokken mit Circoviren. Unter anderem mit einer Impfung, die Nathaus eine Woche früher als der vorherige Veterinär gab, bekam er die Infektion in den Griff. „Das muss man einfach mal ausprobieren, in vielen Betrieben haben wir damit positive Erfahrungen gemacht“, relativiert der Tierarzt. Für Lohmann aller dings steht fest: Es brauchte einen ausgemachten Spezialisten für Schweine, um den Knackpunkt zu treffen – und zu lösen. Die Zahlen geben ihm Recht: Heute sind seine Verluste im Flatdeck auf 1,5 Prozent gesunken.
Für Rolf Nathaus sind sie ein typischer Grund für einen Praxiswechsel: ernsthafte und langwierige Probleme, die in einen Stillstand münden. Der endet allerdings meist, wenn der „neue Besen“ schwungvoll kehrt. „Dann finden auch neue Vorschläge plötzlich Gehör“, weiß er. So zieht der 45-Jährige in der Bestandsbetreuung gerne Dritte hinzu, die eine eigene Expertise zu Futter, Klima oder Produktion mitbringen. Auch wissenschaftliche Berater von der Hochschule gehören schon mal dazu. Zu alldem muss der Tierhalter aber auch erst einmal bereit sein. Diagnostik kostet. „Steigt jedoch der Leidensdruck“, so Nathaus, „steigt auch die Bereitschaft, neue Wege einzuschlagen.“ Wichtig für ihn ist, dass es immer weitergeht, dass man sich nicht an einem Problem festbeißt, sondern Neues ausprobiert.
„Ein Tierarzt muss Bestandsbetreuung können, ein Betriebsleiter muss sie aber auch wollen.“
Damit sein Erfolgsrezept aufgeht, besucht er Betriebe wie den von Heinrich Lohmann mindestens einmal im Monat. Rund 30 Schweinehalter stehen in seinem Kalender. Dass sie ihn auch zwischendurch rufen und nicht meinen, jedes Problem allein in den Griff bekommen zu müssen, zählt für ihn zu einer modernen Zusammenarbeit. „Ein Tierarzt muss Bestandsbetreuung können, ein Betriebsleiter muss sie aber auch wollen“, bilanziert er und tippt dreimal kräftig auf die Tischplatte: „Eigentlich geht es immer um drei Fragen: Was wollen wir kurz-, mittel- und langfristig erreichen?“ Dass sich der schlussendliche wirtschaftliche Erfolg nur mit gesunden Tieren realisieren lässt, liegt für ihn auf der Hand. Und auch, dass sich Medizin und Produktionsberatung an dieser Stelle überlappen: „Man kann doch keinem Betrieb verwehren, wirtschaftlich zu denken.“
Rolf Nathaus betrachtet sich selbst als Dienstleister für die Landwirtschaft, als Systempartner und als Mahner in Tierschutz- und Verbraucherschutzfragen. Nicht alles gefällt ihm, was er in der intensiven Tierhaltung sieht. „Aber nur in der Kooperation mit dem System kann sich etwas bewegen. Wir können doch nicht einfach 50 Prozent weniger Fleisch essen und 50 Prozent weniger Bestandsdichte realisieren!“, sagt er und ringt mit den Händen. Etwas später erzählt er von seiner Angst, dass die anhaltende öffentliche Kritik, die hiesige Landwirtschaft zerstören und ihre Probleme einfach ins Ausland outsourcen könnte. „Hier im Münsterland denkt man mehr über neue Radfahrwege nach als über Bauern“, sagt er leise.
Als Lohmann und Nathaus ihren gemeinsamen Betriebsrundgang beendet haben, bleibt grad noch Zeit für eine Tasse Kaffee mit Apfelkuchen, den Tochter Hannah gebacken hat. Auch der Tierhalter beginnt jetzt, zu erzählen: Was ihm wirklich Gedanken macht, ist die öffentliche Akzeptanz der Landwirtschaft. „Das fängt schon bei unseren technisierten Begriffen an. Wenn ich einen Kollegen frage: ‚Welchen Produktionsrhythmus fährst Du?‘, dann ist das für ihn ganz normal. Der Verbraucher findet allerdings schon das Wort ‚Produktion‘ abschreckend.“
Probleme beginnen nicht selten beim Sprachproblem. Deshalb engagiert sich Nathaus mit seinem Webportal www.wikipig.de. Hier informiert er über Hormone in der Sauenhaltung, über kupierte und kastrierte Ferkel, über Zäune um Schweineställe oder Wirkzeiten von Antibiotika. Er möchte Verbraucher und Presse über Schweinehaltung möglichst sachgerecht informieren. Seine Affinität zur Öffentlichkeitsarbeit kommt dabei nicht von ungefähr: Zu Beginn seiner Berufspraxis schrieb er zwei Jahre lang als Fachredakteur für die Zeitschriften „top agrar“ und „SUS“, die beide im Münsteraner Landwirtschaftsverlag erscheinen. Fotografen, Agrar- und Wissenschaftsjournalisten, die ihn bei seiner Wikipig-Arbeit unterstützen möchten, sind ihm übrigens herzlich willkommen.
Denn Nathaus hat viel vor und noch mehr zu tun. Sein aktuelles Lieblingsprojekt ist eine praxiseigene Software inklusive Antibiotikamonitoring-Datenbank, die er 2011 zu entwickeln begann. Ihn und seine Kollegen interessierte über das damals anlaufende QS-Antibiotikamonitoring hinaus, wie viel Wirkstoffe sie in welchen Fällen einsetzen. Es ging ihnen weniger um das Produkt oder die Verkaufseinheit, sondern um genaue Mengen verabreichter Tetracycline oder Aminoglykoside. Nach einiger Entwicklungszeit errechnete diese Mengen bald eine eigene Datenbank aus der Arzneimittelverschreibung heraus, die die Praxissoftware ohnehin dokumentiert. Nun galt es, die gewonnenen Werte auf die Diagnostik und die Leistung des jeweiligen Betriebs zu beziehen. Warum? „Wenn ich beispielsweise eine Verdachtsdiagnose auf einen bestimmten Erreger habe, verrät mir die Datenbank direkt, wie oft wir in den letzten Jahren welchen Wirkstoff mit wie viel Erfolg eingesetzt haben. Diese In for mation sichert den Ersteinsatz so weit als möglich ab – noch bevor das Laborergebnis eintrifft“, erklärt Nathaus, der im Sinne einer modernen Epidemiologie sowohl den kompletten Betrieb als auch sein gesamtes Praxisgebiet betrachten kann.
„Tierärztliche Aufwendungen sind keine Unkosten. Sie sind ein Investment in die Betriebsgesundheit und damit in den Ertrag“
Eine neue Software soll aus der vorhandenen Datenbank nun noch mehr herausholen. Ziel ist, dem Tierhalter grafische Vergleiche zwischen biologischer Leistung und medizinischen oder betrieblichen Entscheidungen auszuwerfen. Denn am Ende des Tages fragt man sich: Was hat die Betreuung gebracht? Was kostete beispielsweise eine Impfung – und wie wirkte sie sich in der Menge der abgesetzten Ferkel aus? Nathaus möchte auf diese Fragen zukünftig sehr detaillierte Antworten geben: „Tierärztliche Aufwendungen sind keine Unkosten. Sie sind ein Investment in die Betriebsgesundheit und damit in den Ertrag – das wollen wir aufzeigen.“
„Gerade Problembetriebe, um die es dem AMG ja letztendlich geht, scheuen das Veterinäramt wie der Teufel das Weihwasser.“
Bei so viel Technikbegeisterung ist es nur selbstverständlich, dass die monatliche Übertragung zum QS-Antibiotikamonitoring per Schnittstellenlösung läuft. Im Zuge der neuen staatlichen HIT-Datenbank und der damit verbundenen tierarztrechtlichen Verantwortung beschäftigt die Praxis nun eine Vollzeitkraft, die sich ausschließlich um die Datenpflege kümmert. Ein Service, der den Betrieben auch in Rechnung gestellt wird. Dabei besitzt Rolf Nathaus ein eindeutiges Verhältnis zum Antibiotikaeinsatz: „Er ist zu preiswert.“ Bestes Beispiel für ihn geben Routinebehandlungen ab: „Wenn ich regelmäßige Krankenfälle, die beispielsweise immer drei Tage nach dem Absetzen eintreten, erfolgreich behandelt habe, dann muss ich den Absprung schaffen. Natürlich fordere ich damit das betriebliche Sicherheitsdenken, aber diesen Spagat muss ich mit dem Landwirt einfach schaffen. Routinebehandlungen gehören immer auf den Prüfstand.“ Diese Position sieht er durch die AMG-Novelle gestärkt. „Gerade Problembetriebe, um die es dem AMG ja letztendlich geht, scheuen das Veterinäramt wie der Teufel das Weihwasser“, weiß er. Aber er weiß stirnrunzelnd auch, dass Lösungen nicht nur auf Papier, sondern in die Praxis gehören. Was daraus wird, will er erst mal auf sich zukommen lassen.
VET-TEAM REKENDr. Rolf Nathaus ist seit 2004 an der Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis „Vet-Team Reken“ beteiligt, gemeinsam mit Dr. Heinrich Wilkes, Dr. Dirk Bahde und Peter Schmidt. Ein insgesamt siebenköpfiges Team betreut hier rund 250 schweinehaltende Betriebe, auf die sich die Praxis vor zwölf Jahren spezialisierte. Ihr Herzstück ist heute die kontinuierliche Bestandsbetreuung mit dazugehörender Diagnostik und Beratung zum Betriebsmanagement. Zu deren Themen gehören:
Darüber hinaus bietet die Praxis Fortbildungen für Betriebspersonal an, die den Umgang mit Arzneimitteln schulen. Über ein E-Learning-Portal soll dies zukünftig in mehreren Sprachen stattfinden können. |
Quelle: “Zum Hofe” (1/2014) – Hier ansehen und herunterladen