Alte Ställe mit breitem Erregerspektrum und dazu Hochleistungssauen dänischer Provenienz. Keine Traumpaarung, wenn es um eine Erfolgsgeschichte in Sachen Antibiotikaminimierung gehen soll. Der Ferkelerzeuger Harm Hauschild und seine Hoftierärztin Denise Wüllner können sie trotzdem erzählen. Zuvor aber haben sie den ganzen Betrieb – Stück für Stück – auf den Kopf gestellt. Ein Betriebsrundgang in Lübeck.
„Wir hatten ein echtes Coli-Problem. Alle abgesetzten Ferkel brauchten eine Woche lang Antibiotika, ansonsten hatten wir Verluste von zehn Prozent.“ Denise Wüllner ist keine, die viele Worte macht. Die Hoftierärztin kommt direkt zum – wunden – Punkt: zum Absetz-Durchfall. Ihn gab es zuhauf im Betrieb von Harm Hauschild, der 850 Sauen- und 2.500 Ferkelaufzuchtplätze zählt. Seit Herbst 2016 betreut Wüllner den Betrieb, sie ist beim Vet-Team Schleswig-Holstein in Blekendorf-Kaköhl, Kreis Plön, angestellt.

Heute gehört der gefürchtete Absetz-Durchfall mitsamt seiner antibiotischen Einstallbehandlung zur Vergangenheit. „Im zweiten Halbjahr 2017 ist die HIT-Therapiehäufigkeit zum ersten Mal unterhalb des Medians gesunken, wir mussten keinen Maßnahmenplan schreiben“, freut sich Wüllner. Mutige Umstellungen im Bestandsmanagement drängten die hohe Verlustquote auf ein Prozent zurück, zudem konnte ein Ferkel mehr pro Sau abgesetzt werden. All dies freut auch Hauschild, der die Anlage seit vier Jahren leitet. Aber wie haben er und seine Hoftierärztin das Thema angepackt?
Letztlich haben sie den ganzen Betrieb – Stück für Stück – auf den Kopf gestellt. Speziell drei Maßnahmen waren es aber, die spürbar aus der Talsohle heraushalfen. Erstens: eine kommerzielle Coli-/Clostridien-Mutterschutzimpfung, die perfekt zur vorhandenen Erregersituation passte und „direkt einen Kick nach vorne brachte“. Zweitens: stärkere Saugferkel, da Hauschild den vormals zweiwöchigen Produktionsrhythmus auf einen einwöchigen umstellte und die Säugedauer verlängerte (25 statt 21 Tage). Drittens: ein Ferment-Wasser-Gemisch, das der Agrarbetriebswirt bis 14 Tage nach dem Absetzen, neben seinem üblichen Trockenfutter, fütterte. Dreimal täglich bietet er es den Tieren in Anfütterungsschalen an. „Harm hat das Ganze zusammen mit seinem Futterberater ausgeheckt. Es funktionierte vom ersten Augenblick an, eine super Sache“, sagt Wüllner anerkennend. Die „super Sache“ besteht aus Weizen, Gerste und Sojabohnen, die mit Wasser und Milchsäurebakterien versetzt und dann wärmebehandelt werden. „Die Bakterien vermehren sich und zersetzen das Getreide. Die Ferkel bekommen quasi vorverdautes, damit leicht verträgliches Futter“, erklärt die Medizinerin. „Im Verdauungstrakt der Tiere angekommen, stabilisieren die Mikroorganismen zudem die Darmflora, die sie besiedeln. Dabei konkurrieren Milchsäurebakterien, das darf man nicht vergessen, mit pathogenen Keimen. Die Milchsäurebakterien machen ihnen das Leben schwer.“ Trotzdem, so meint sie, wusste anfangs niemand, ob die im Nachhinein so überzeugend wirkende Strategie aufgehen würde. „Die Antibiose abzusetzen, war eine mutige Entscheidung, auch vor den Mitarbeitern, die Angst hatten, jeden Morgen tote Ferkel im Stall zu finden.“
Während sich Wüllner erinnert, klettert Hauschild auf den Futter-Container im Vorraum, in dem das vorproduzierte Ferment lagert, und wirft die Pumpe an. Dann lässt er sich das dickflüssige Gemisch in die hohle Hand rinnen. Ein Geruch, der an warmes Bier und frischen Brotteig erinnert, steigt in die Luft. „Will jemand probieren?“, fragt er begeistert. Als die Reaktionen spärlich ausfallen, nimmt er selbst eine Kostprobe. „Ganz schön sauer“, murmelt er und verzieht das Gesicht. Seine Begeisterung mindert das jedoch nicht, ganz im Gegenteil: Hauschild mag sein Futter – und er kommt ins Erzählen. „Als ich meinem Vater zum ersten Mal von meiner Idee erzählte, Ferment zu füttern, sagte der nur: ‚Du bist bekloppt. Das machst du nicht!‘“ Schon einmal, in den 1980er Jahren, hatte sich der Familienbetrieb daran versucht. „Damals hat das aber gar nicht geklappt, die Technik war noch nicht so weit“, erklärt der Junior. „Und es ließen sich nicht so kleine Portionen bestellen wie heute.“ Erst mit Hilfe eines lang bekannten Futterberaters gelang es schließlich, das Familienoberhaupt zu überzeugen. Und, was sagt der Vater heute? „Läuft!“, antwortet Hauschild kernig und eilt schon weiter.
Denn es gibt noch viel zu zeigen und noch mehr zu erklären, das betriebseigene Antibiotikareduktions-Programm besitzt einige Bausteine. Zum Beispiel Split-Nursing. Harm Hauschild: „Bei fri-schen Würfen, die mehr als 14 Ferkel haben, trennen wir die stärksten für fünf Stunden ab.“ Während die nebenan unter der Wärmelampe warten, haben die Schwächeren, die sonst von ihren agilen Geschwistern abgedrängt würden, zwei Säugephasen für sich allein. „In dieser Zeit können sie sich mit dem Kolostrum, der energiereichen Vormilch der Mutter, versorgen. Von ihr gibt es nur wenige Liter, sie sind aber entscheidend für die Immunabwehr der heranwachsenden Tiere“, ergänzt Wüllner. Sie hat durchweg gute Erfahrungen gemacht, wenn Schweinehalter auf eine gleichmäßige Kolostrumversorgung des gesamten Wurfs achten. Besonders dann, wenn die Würfe so groß sind wie bei Hauschilds Danzucht-Sauen. Gekreuzt aus Dänische Landrasse und Edelschwein tragen sie mit 118 Tagen etwas länger und „bringen bis zu 20 lebend geborene Ferkel, die muss man erstmal managen können“, meint Wüllner. Gerade darum zahle sich die gute Kolostrumversorgung aus. „Ich würde mir mehr Sauenhalter wünschen, die darauf achten. Split-Nursing wird noch zu wenig gemacht.“

„Alles entscheidend sind die genaue Beobachtung und das schnelle Eingreifen.“
Der Erklärung dafür ist einfach: Die Methode ist betreuungsintensiv. Ebenso wie das Tauschen der Saugferkel, aber auch darauf setzt Hauschild: Ist eine Mutter schwach, verfügt sie über eine zu geringe Milchleistung, dann wandert ein Teil ihres Wurfs in eine andere Abferkelbox zu einer starken Ammen-Mutter. Bei etwa jedem zehnten Wurf ist das der Fall. Zusätzliche Milch über ein Cup-System bekommen alle Saugferkel ab dem dritten Lebenstag, ab dem elften flüssigen Prestarter und ab der zweiten Woche zusätzlich trockenen. Auch das frühe Anfüttern beugt dem gefürchteten Absetz-Durchfall vor.„Es sind viele Kleinigkeiten, die zusammenkommen“, so die Hoftierärztin. „Alles entscheidend sind aber die genaue Beobachtung und das schnelle Eingreifen.“ Das muss nicht immer schulmedizinisch sein, auch „alte Hausmittel“ leisten gute Dienste: Zeigt ein Wurf beispielsweise erste Durchfallanzeichen, dann bekommt er Cola serviert. Denn auch Schweine-Sprösslingen schmeckt der süße Softdrink bestens, so nehmen sie zusätzliche Flüssigkeit auf und trocknen nicht aus.„Außerdem besitzt Cola reichlich Kalorien und senkt den ph-Wert im Magen, das hindert die Bakterien in ihrem Wachstum“, erklärt die Fachfrau.

Entscheidend für alle Details um Coli, Cola und Co. ist Hauschilds sechsköpfiges, fest angestelltes Mitarbeiterteam. Wüllner ist von ihm begeistert: „Die haben ihren Bestand im Griff. Und wenn ich auf ein Problem hinweise, dann ist es bei meinem nächsten Besuch behoben.“ Neben vier Rumänen arbeiten zwei Polen für den 27-jährigen Betriebsleiter. Allesamt sind sie ungelernt und „haben vorher nie ein Schwein gesehen“. Die Betriebssprache ist gebrochenes Englisch. Keine idealen Voraussetzungen, trotzdem: „Die Männerwirtschaft funktioniert.“ Wie das Hauschild geschafft hat? „Ganz einfach, zuerst muss die Bezahlung stimmen und dann der Umgang“, erklärt er. „Die bekommen hier – für ihre Verhältnisse – ein Wahnsinnsgeld und wollen ihren Job unbedingt behalten. Das macht die Arbeit gut.“ Seit über drei Jahren ist das Team, das auch auf der weitläufigen Anlage wohnt, beieinander. Zwölf Tage am Stück wird gearbeitet, zwei Tage sind frei, alle fünf Monate geht es für jeweils vier Wochen in die Heimat.

Dass auch eine personell noch so gut besetzte Anlage, eine solide aufgebaute Bestandsgesundheit wieder ins Kippen geraten kann, zeigte sich im Frühjahr 2018: Der Rotavirus machte dem Betrieb zu schaffen. „Da es keinen zugelassenen Impfstoff für Schweine gibt, musste der Virus einmal durch alle Sauen durch“, sagt Wüllner zähneknirschend. „Jetzt sind sie zwar alle perfekt immunisiert, aber es dauerte auch bei jedem Tier vier Wochen, bis sich die vom Rotavirus angegriffene Darmschleimhaut erholt hatte. Kamen in der Zeit Coli-Bakterien obendrauf, brauchten wir wieder Antibiotika.“ Zudem sank das Verkaufsgewicht der Ferkel und es gab mehr Verluste. „Fast ein Jahr lang lagen sie bei nur einem Prozent. Durch den Rotavirus stiegen sie wieder auf drei bis vier Prozent“, rechnet Hauschild vor.
Nicht nur deshalb setzen er und seine Hoftierärztin, wo möglich, auf Prophylaxe und ein individuell zugeschnittenes Impfprogramm: „Wir haben hier im Betrieb ein breites Erregerspektrum: Streptokokken, drei pathogene Coli-Bakterien, den Erreger der Glässer’schen Krankheit, Clostridien – alles da“, zählt Wüllner auf. Sie vertraut auf eine Mutterschutzimpfung, die die Ferkel passiv über das Kolostrum immunisiert. Der Bestandsimpfschutz bei den Sauen umfasst PRRS, Influenza und Parvo/Rotlauf. Entsprechend der fortlaufenden Erregeranalyse verändern sich die zusammengesetzten Impfstoffe. „Rund ein Drittel haben wir beim letzten Mal ausgetauscht“, so die Tierärztin. „Man muss halt dranbleiben.“

Das gilt auch für das betriebseigene Hygieneprogramm: Es herrscht eine konsequente Schwarz-Weiß-Trennung mit zentraler Hygieneschleuse, Besucher müssen einduschen. Lieferanten und Dienstleister besitzen eine separate Zufahrt, neue Jungsauen gehen für acht Wochen in externe Quarantäne, es gibt einen eigenen Viehanhänger, der die Neuankömmlinge transportiert – um nur einige der Maßnahmen zu nennen. Ein konse-quentes Reinraus-Verfahren gehört ebenso zum Hygienekonzept. Ob die Mannschaft ordentlich reinigt und desinfiziert, sieht Wüllner nach ihrer Desinfektionskontrolle. Regelmäßig nimmt sie Abklatschproben in den sauberen Abteilen, die das praxiseigene Labor untersucht, je nach Ergebnis wird das Desinfektionsmittel gewechselt. Da jeder Mitarbeiter sei-nen Arbeitsbereich selbst wäscht, werden persönliche Fehler deutlich.„Das Ergebnis ist beim nächsten Mal garantiert besser“, erklärt Hauschild, der sich die intensive Reinigung übrigens bei den Geflügelhaltern abgeschaut hat. „Daheim in Deinste haben wir eine Hähnchenmast.“
Neben dem Betrieb in Lübeck gehört ein zweiter Standort zum Familienbetrieb. Im 130 Kilometer entfernten Deinste, Landkreis Stade, existieren 3.000 weitere Ferkelaufzuchtplätze, etwa die Hälfte der Lübecker Nachzucht wächst hier auf – weiterhin unter Wüllners wachen Augen. Hinzu kommen 2.500 Schweine- und 170.000 Hähnchenmastplätze, eine 940-kW-Biogasanlage, 360 Hektar Acker, 100 Hektar Grünland. Harm Hauschild bewirtschaftet all dies gemeinsam mit seinem Bruder und seinen Eltern. Bis 2013 setzte die Familie auf Bio. „Mit rund 1.000 Sauen waren wir wohl der größte Bio-Ferkelerzeuger in Deutschland“, erinnert sich Hauschild, „bis wir auf unseren Tieren sitzen geblieben sind.“ Der Absatz funktionierte nicht, zu wenig Mäster fragten die Ferkel nach. Nach sechs Bio-Jahren kapitulierte der Betrieb, stellte auf konventionell um und baute den 2014 hinzugekauften Standort in Lübeck, die Büssau KG, aus. Die Familie Hauschild ist mit ihrer Sauenhaltung und mit einem Teil der Mast bei der Initiative Tierwohl dabei.
Quelle: “Zum Hofe” (2/2018) – Hier ansehen und herunterladen