Es ist die Rinderchirurgie, die es Dr. Josef Selmair angetan hat. Mit einem stationären OP machte er sich im Landkreis Erding einen Namen. Sein „Rinderzentrum Holzland“ betreut neben Milchviehbetrieben vor allem Rindermäster. Einer von ihnen ist Josef Hupfer. „Schon immer“ arbeiten die beiden Oberbayern zusammen. Neu für beide ist, dass seit letztem Jahr auch Rindermäster zum Antibiotikamonitoring staatlicherseits verpflichtet sind. „Zum Hofe“ hat sich aus Hof und Praxis erzählen lassen.
Keine Frage: Josef Selmair mag Rinder. Am liebsten sieht er sie überall. An der Zufahrtsstraße, an der eine lebensgroße Kunststoffnachbildung für seine Praxis wirbt, ebenso wie in seinem rechten Ohr, in dem die winzig kleine Silhouette einer Kuh glänzt. Hauptsache Rind. „Ich habe meine Leidenschaft eben zum Beruf gemacht“, stellt der Hoftierarzt strahlend fest. Seine Weichen stellten sich schon in frühesten Kindertagen: Die Eltern besaßen einen Bauernhof, den der Bruder mit heute rund 100 Kühen weiterführte. Josef Selmair selbst interessierte sich – neben der Archäologie –mehr für Tiermedizin. Besser: Rindermedizin. Sie erhielt bei der Berufswahl schließlich den Zuschlag. Studiert und später promoviert wurde im nahen München. Nach drei Berufsjahren in einer Großtierpraxis stellte sich der Oberbayer auf die eigenen Füße. Sein heutiges „Rinderzentrum Holzland“ in Inning am Holz führt er zusammen mit Werner Kamp (DVM) als Gemeinschaftspraxis, beide kümmern sich um den Nutztierbereich. Die Kleintiere übernimmt eine angestellte Tierärztin, eine Tiermedizinische Fachangestellte unterstützt ebenso wie Selmairs Ehefrau, die das Büro betreut.
Hier im Holzland, mitten im Landkreis Erding, ist die Praxis bestens aufgestellt. Trifft der Besucher doch auf ein nach wie vor land- und forstwirtschaftlich geprägtes Kulturland. Industrie und Tourismus gibt es kaum. Dafür umso mehr Rinder, vorwiegend Fleckvieh, die sich zu etwa gleichen Teilen auf Milchvieh- und Mastbetriebe verteilen. Josef Selmair kennt beide, seine Praxis betreut rund 150 Höfe, durchweg Familienbetriebe, die sich über den Landkreis verteilen. „Nähe ist wichtig, wenn es brennt, will ich in spätestens 30 Minuten da sein“, sagt er. „Für mich ist das eine Frage von Tierschutz.“

Trotz aller Mobilität entwickelte Selmair vor fünf Jahren auch ein stationäres Standbein: Er baute einen ehemaligen Kuhstall zu einem Rinder-OP aus, nur einen Katzensprung von seinen eigentlichen Praxisräumen entfernt. Bevor er den ersten Stein anfasste, reiste er durch die Republik, buchte nicht nur Fortbildungen, sondern besuchte auch Unikliniken und andere Praxen, die in der stationären Rinderchirurgie schon ihre Erfahrungen gesammelt hatten. Wie machen die das mit der Lüftung, mit der Desinfektion? Welcher Boden hat sich bewährt? Die ganz praktischen Fragen leiteten ihn.
Heute kommen die Landwirte immer öfter mit ihren Tieren zu Selmair gefahren. Ein typischer Fall kündigte sich am frühen Morgen an: Ein vier Tage altes Kuhkalb, eine zunächst quicklebendige Zwillingsgeburt, bekam plötzlich einen dicken Bauch. Vielleicht hat es einen Darmverschluss? „Da hilft nur eins: Aufschneiden und reingucken“, sagt der Praktiker, der schon zum OP aufbricht. Bis zu 250 Eingriffe führt er hier pro Jahr durch: Nabel-OPs bei Kälbern, Klauen-und Zitzen-OPs bei Milchkühen ebenso wie Eingriffe bei Labmagenverlagerung und Verdrehungen der Eingeweide, wie sie gerne bei Fressern vorkommen.
„Grundsätzlich ließe sich das meiste –wie etwa der klassische Kaiserschnitt – ja auch auf dem Hof erledigen“, relativiert Selmair. Nur eben nicht so gut: Der wenig keimbelastete OP lässt sich gut sauber halten, reichlich Licht, warmes Wasser, mehrere Sätze OP-Besteck – für alles ist hier gesorgt. Auch für einen mobilen Kippstand. In ihm lässt sich der Patient fixieren, flach ab-legen oder auch – etwa für eine Labmagen-Endoskopie – auf den Rücken drehen. Eingestellt auf eine bequeme Arbeitshöhe lässt sich jetzt richtig gut arbeiten. Wenn im Sommer das Wetter mitspielt, hängt sich Josef Selmair den Weltreise.“ Was liegt also näher als das Rinderzentrum Holzland. Um es bekannt zu machen, lud es sämtliche Kollegen aus Oberbayern zur Eröffnung ein, ebenso die Rinderhalter. Auch Josef Hupfer war dabei, ein Rindermäster aus dem benachbarten Erding. Drei-, viermal hat er den OP seither genutzt, denn Selmair ist „schon immer“ Hupfers bestandsbetreuender Tierarzt. Sein Hof besitzt 250 Rinder, 150 Hektar Ackerland kommen hinzu. Außerdem eine kleine Lohnunternehmung mit zwei Großpackenpressen. Neben seiner Ehefrau Elisabeth und den Eltern packt Bruder Christian mit an, ein ausgebildeter Landmaschinenmechaniker. Seit 2003 ist der bayerische Familienbetrieb ein QS-Systempartner.
Viel haben der Landwirt und sein Hoftierarzt schon zusammen gemeistert. Auch das Jahr 2014 hatte einiges zu bieten: Mit dem novellierten AMG sind Kippstand auch ans Auto und nimmt ihn mit auf den Hof: „Das Rind ist einfach robust und unempfindlich, mit einem Pferd brauchen Sie so etwas nicht versuchen.“
„Ich habe meine Leidenschaft eben zum Beruf gemacht.“
Dass sich der erfahrene Hoftierarzt so sehr auf die Rinderchirurgie einschoss, bedingt auch die ländliche Lage:„Wenn unsere Bauern in die Tierklinik müssen, dann ist das für sie eine seither auch Rindermäster zum Antibiotikamonitoring staatlicherseits verpflichtet. Für ihre Einträge, die im Allgemeinen der zuständige Tierarzt übernimmt, steht ihnen die staatliche HIT-Datenbank ebenso zur Verfügung wie die schon etablierte QS-Antibiotikadatenbank. Sie überträgt die eingetragenen Daten automatisch zu HIT. Für viele Tierärzte, die die QS-Software bereits aus ihren Schweine-und Geflügelbeständen kennen, bringt das eine deutliche Arbeitserleichterung. Für das Rinderzentrum Holzland ist jedoch das komplette Antibiotikamonitoring Neuland. Bislang stellt
Selmair seine AuA-Belege handschriftlich mit mehreren Durchschriften aus, eine Praxissoftware gibt es wohl, die nutzt aber mehr die Kleintierabteilung. Eine Nutztier-Software mit Schnittstellenlösung zwischen digitalem AuA-Beleg und QS-Datenbank wäre nun das Ideale.
Viel Neues für den 61-Jährigen. „Eigentlich wollte ich ja mit 60 in Rente gehen“, sinniert der Veterinär und zuckt mit den Schultern. Ihn lockt einfach mehr der OP als der Computer. Denn auch wenn Josef Selmair schon viele Berufsjahre auf dem Buckel trägt, brennt seine Leidenschaft für das Rind ungebrochen. „Im Endeffekt verbringe ich heute mehr Zeit im Kuhstall als mein Bruder“, erklärt er – mit einem lachenden Auge einerseits, mit einem weinenden andererseits. „Ökonomisch ist das völlig falsch. Würde ich mich als junger Mann noch einmal selbstständig machen, dann wäre ein Wochentag für Büro und Zahlen reserviert. Ohne das geht es eigentlich nicht mehr. Die jungen Kollegen packen es direkt anders an als wir früher. Unternehmerischer!“
“Früher Feuerwehr, heute Berater.”
Unternehmerisch wird Josef Selmair aber auch, spätestens dann, wenn es um das Wohl der Tiere geht: „Früher waren wir die Feuerwehr, heute viel mehr Berater“, bilanziert der Vater zweier studierender Kinder. Ihn freut, was er als Ratgeber auf den Höfen erreichen kann. So hat er etwa vor drei Jahren gemeinsam mit Josef Hupfer die Kälberfütterung umgestellt. Mit bestem Gesundheitserfolg! Neben Milchaustauscher bekommen die Tiere seither eine Totalmischration, die aus speziell aufbereitetem Gerstenstroh, Sojaschrot, Zuckerrüben- schnitzeln und Mineralfutter bestehen. „Das Raufutter regt den Pansen an, der so gestärkte Magen-Darm-Trakt kommt mit Kokzidien besser zurecht. Und das reduziert die Durchfallerkrankungen“, führt der Hoftierarzt aus. Die Kälber jeden-falls sind ganz närrisch auf das schmackhafte Futter und „besser, die fressen vorne die guten Sachen als hinten das verschmutzte Stroh“.

Was Tierarzt und Landwirt gleichermaßen erfreut, zeigt sich auch als wertvolle Maßnahme in Sachen Antibiotikareduktion. „Das stimmt “, nickt Selmair. „Denn jedem Rindertierarzt ist auch ohne Monitoring klar, wo wir 90 Prozent der Antibiotika verbrauchen: dort, wo die Kälber aus den einzelnen Milchviehbetrieben zusammenkommen und fleißig ihre Erreger austauschen.“ Das geschieht nicht nur bei den Fressererzeugern, sondern auch bei Rindermästern wie Josef Hupfer, der direkt Kälber kauft. Er kennt sich mit Grippe und Durchfall aus, sind sie doch typische Erkrankungen in seinen frisch zusammengewürfelten 40er Abteilen. Der Tierarzt begegnet ihnen mit oral gegebenen Fütterungsarzneimitteln wie Tetrac. Zwei- bis dreimal in der Woche besucht Selmair den Hof während dieser Phase, bis sich rund 14 Tage nach dem Einstallen wieder alles beruhigt hat. Bis dahin kümmert sich der Familienbetrieb intensiv um die Betreuung der Tiere. „Meine Mutter wohnt direkt neben dem Kälberstall und macht jeden Abend vor dem Zubettgehen die letzte Runde“, erzählt Hupfer anerkennend. „Sie hat ein gutes Auge, das ist Gold wert.“
Neben der intensiven Betreuung der Tiere sieht Selmair vor allem in der Haltung eine wesentliche Stellschraube hin zur Antibiotikareduktion: „Das Stallklima muss stimmen. Hier hat sich in den letzten 30 Jahren – neben den Impfungen – aber auch schon unheimlich viel verbessert.“ Als Hupfer 2008 seinen Bullenstall modernisierte, konnte ihm sein Hoftierarzt auch hier wertvolle Ratschläge geben. Zum Beispiel: die Einrichtung von Krankenabteilen. Drei separate, zum Teil mit Gummibelegen ausgestattete Boxen stehen nun für kranke oder einfach geschwächte Tiere zur Verfügung. „Die haben sich schon dreimal rentiert“, begeistert sich Hupfer. Selmair ergänzt: „Mit ihrer Hilfe bringen wir 80 Prozent der kranken Tiere so weit, dass sie fertig ausgemästet werden können.“ Und auch für das eigene Leib und Leben sei gesorgt: In den Einzelboxen lässt sich auch ein 450 Kilo schwerer Bulle nicht nur gut, sondern auch sicher behandeln.
QS-Praxistipp
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Quelle: “Zum Hofe” (1/2015) – Hier ansehen und herunterladen
2 comments on “Ein Herz für Rinder – Hoftierarzt Dr. Josef Selmair und Landwirt Josef Hupfer”
Vielen Dank für diesen Bericht zu den Möglichkeiten, Rinder zu behandeln. Es ist gut, dass sich viel tut. Fachtierärzte für Rinder und engagierte Landwirte sollten immer das Wohl der Tiere im Blick haben. Gute Lebensbedingungen und so gute Versorgung sollte selbstverständlich sein.
Sehr schön zu lesen, dass Josef Selmair seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Ich finde es immer schön, über solche positive Geschichte zu lesen. Ich bin Tierarzt und seit einiger Zeit überlege ich mir eine Fachbildung im Bereich Rinderchirurgie. Leidenschaft ist in diesem Bereich notwendig.