Es ist die Homöopathie, die Dr. Ulrich Brinkmann seit seinen Studienjahren begeistert. Bei einer ganzen Reihe seiner konventionell arbeitenden Landwirte hat er mit ihr einen Stein im Brett. „Zum Hofe“ traf sich mit dem Nutztierarzt in der Gemeinschaftspraxis „An der Maiburg“. Hier in Bippen, Landkreis Osnabrück, geht es voll und ganz um Schweinehaltung. Ein Hofbesuch.
Die Praxis liegt in Alleinlage. Zwei Gebäude und eine Wagenremise gruppieren sich um einen gepflasterten Hof, dahinter beginnt der Wald. Freundlich blicken die grünen Holztüren und die hellen Sprossenfenster aus den Ziegelmauern heraus. Hinterm Haus, im Garten, lädt eine weiß lackierte Bank zur Mittagspause ein. Die bunten Blumenbeete ringsherum legte Brinkmanns Ehefrau an. „Es war uns wichtig, an einem Ort zu arbeiten, an dem wir uns auch wohlfühlen können“, erklärt Ulrich Brinkmann, der die Gemeinschaftspraxis 2003 zusammen mit Dr. Hermann Rüberg gründete. Zuvor arbeiteten beide – 30 Kilometer voneinander entfernt – auf „eigene Karte“. Dann taten sie sich zusammen und zunehmend kristallisierte sich die Praxisspezialisierung heraus: die Schweinehaltung. Heute kümmern sich insgesamt sieben Tierärzte um rund hundert Ferkelerzeuger, Aufzucht- und Mastbetriebe. Sieben weitere Mitarbeiter unterstützen im Büro und in der Apotheke.
Seit 2007 besitzen die „Maiburger“ auch eine eigene Sektionshalle. Sie liegt separiert in der ehemaligen Scheune. Rund 300 Tiere kommen hier pro Jahr zur Obduktion, da bewährt sich die abgeschiedene Einzellage, besonders wenn der Lkw von der Kadaverentsorgung vorfährt. Vermieter der Hofanlage ist ein Landwirt aus dem Kundenkreis, sein Betrieb liegt ein Stückchen weiter. „Da uns nur das Inventar gehört, fällt es leicht, weitere Teilhaber ins Boot zu holen“, freut sich der Mittfünfziger Brinkmann. So vervollständigt Dirk Odenhage seit 2010 das Inhaber-Trio, wie sein Kollege Rüberg ist er Fachtierarzt für Schweine. Der 42-Jährige sorgt für Verjüngung – weitere nicht ausgeschlossen. Dass sie Nachwuchs in die Leitungsebene integrieren möchten, darüber waren sich die beiden Gründer schon früh einig. So wählten sie den Praxisnamen „An der Maiburg“, der sich auf ein nahes Waldgebiet bezieht, bewusst unabhängig von ihren Familiennamen. Auch wussten beide, dass – bei aller Leidenschaft – die Arbeit nicht alles im Leben sein kann. Praktisch umgesetzt bedeutete das: Inhaber wie Vollzeitkräfte machen einen Nachmittag in der Woche frei, Urlaube werden nicht aufgeschoben, sondern genommen. Den Wochenenddienst schafft ein Kollege alleine, das entlastet das ganze Team. Unter Nachwuchsproblemen leidet die Praxis nicht, was auch an der vorhandenen Weiterbildungsermächtigung zum „Fachtierarzt für Schweine“ liegen mag. Kündigungen sind selten.

Die Tierärzteschaft arbeitet im Zweiergespann. Jeder Inhaber besitzt einen festen Kundenstamm, den er zusammen mit einem Assistenzarzt betreut.„Eine konstante persönliche Betreuung ist allen Betrieben wichtig, das schafft Sicherheit“, erzählt Brinkmann, der mit viel Freude durch seine Praxisräume führt. Richtig in Fahrt aber kommt er, als er die Schränke mit den homöopathischen Präparaten öffnet. Seit seinen Studienjahren in Hannover interessiert er sich stark für diesen Fachbereich. Das führte ihn zunächst zu Vorlesungen der Humanmediziner, später zu tiermedizinischen Fortbildungen.
In den Jahrzehnten, die er anschließend praktizierte, sammelte der Vater zweier Kinder einen reichen Erfahrungsschatz, den er in Form von Pulvern, wässrigen Lösungen und Globuli an „seine“ Schweine weiterreicht:„Pulsatilla regt die Rausche der Sauen an und steigert die Abferkelquote, Lachesis hilft ihnen später bei MMA. Sind die Muttertiere durch die Geburt stark geschwächt, gibt ihnen der Crataegus-Komplex neuen Auftrieb“, zählt er auf und tippt dabei auf die weißen Schraubdosen im Regal. Dabei landet sein Finger auch auf dem Vaccine-Pulver. Das setzt er in der Impfbegleitung ein, es vermindert Nebenwirkungen. Vor allem dann, wenn die Landwirte ihre Augen offen halten: So fiel einem Ferkelerzeuger, der Milchtassen aufstellt, der unerhörte Durst seiner Saugferkel auf. Sie tranken ihre zusätzlichen Rationen ruck, zuck leer, wenn ihre Mütter frisch geimpft waren. Brinkmann glich die offensichtlich verminderte Milchleistung der Säue mit Vaccine-Pulver aus – und die Milchtassen blieben voll.
„Wer seine Pappenheimer kennt, für den können Hochpotenzen Gold wert sein.“

Wer Brinkmanns Erzählungen lauscht, der merkt: Sein Steckenpferd ist – neben der Naturheilkunde – die Sauenhaltung. Wöchentlich bis monatlich besucht er die Betriebe, deren Bestandsbetreuung er innehat. Neben Routinemaßnahmen geht es dann häufig um Einzeltierbehandlungen, die Homöopathie passt bestens dazu. Wobei soeben ein homöopathisches Mittel für 600 Tiere die Praxis verließ, das als Gruppenbehandlung über das Futter verabreicht wird. Auch das kommt vor. Warum er gerade in der Schweinehaltung die Pflanzenkraft schätzen lernte, liegt in ihren Einflussmöglichkeiten auf das Tierverhalten. So erleichtern beispielsweise Arnica und Nux Vomica, zusammen gegeben, das Zusammenstallen. Angst, Nervosität, Aggression, Ferkel- und Schwanz beißen –Schweine besitzen einen anfälligen Gemütszustand. Brinkmann begegnet ihm mit zahlreichen Managementfaktoren:„Wer seine Pappenheimer aber kennt, für den können Hochpotenzen Gold wert sein.“ Diese Feinheiten herauszufinden, bereitet dem Homöopathen offensichtliche Freude.
Dass seine pflanzlichen Mittel wirken, dafür legt Brinkmann seine Hand ins Feuer: „Es gibt Betriebe, die kamen zu uns mit dem Satz: ‚Bei uns ist alles
resistent.‘ Die Homöopathie und andere Phytotherapeutika eröffnen da wieder Spielräume – ob zur Prophylaxe oder zur Intervention.“ Dass der Tierarzt bei diesen Landwirten einen Stein im Brett hat, ist klar. Zudem ziehen pflanzliche Arzneien keine Wartezeit nach sich und sind kostengünstig. „Ich bin doch froh, wenn ich den Betrieben etwas bieten kann, das sie finanziell entlastet. Sie tragen an den ganzen Impfkosten eh schon schwer genug“, bilanziert der hochgewachsene Niedersachse, der sich ehrenamtlich als Kirchenvorstand engagiert. Seine Devise: Nur finanziell bewegliche Kunden können in Bestandsgesundheit investieren. Bei allen Pluspunkten, die sich in Brinkmanns Erzählung offenbaren, bleibt aber doch ein Zweifel im Hinterkopf: Wie reagieren denn nur die Landwirte, wenn sie erstmals mit der Homöopathie konfrontiert werden? Und erst die Fachkollegen? Während diese Fragen im Kopf kreisen, zieht der Hoftierarzt eine weitere der weißen Kunststoffdosen aus dem Schrank und tippt auf das Etikett: „Ignatia-Komplex, gut für ankommende Jungsauen. Es ist das Heimweh-, Sehnsuchts- und Kummermittel“, sinniert er. „Natürlich helfen gutes Futter, ein freundlicher Umgang, ein schöner Stall bei der Eingewöhnung – Ignatia aber eben auch.“ Spätestens jetzt muss die Frage raus: Welche Reaktionen erntet der Tierarzt denn auf sanftmütige Erläuterungen dieser Art? Ulrich Brinkmann blickt überrascht auf. Nein, Ablehnung erfährt er nie, erklärt er, vielleicht zuweilen eine etwas abwartende Haltung. „Die Landwirte sind viel offener, als man meinen könnte“, beendet er kurzerhand das Thema, das für ihn schon längst keines mehr ist.

Seine homöopathisch aufgeschlossene Kundschaft besteht übrigens durchweg aus konventionell arbeitenden Familienbetrieben, die allesamt in das
QS-System liefern. So ist die Praxis „An der Maiburg“ im QS-Antibiotikamonitoring integriert und nahm auf dieser Basis mit zehn ihrer Kunden an einer Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover teil, die sich in den letzten beiden Jahren mit betrieblichen Antibiotikaminimierungskonzepten befasste (mehr dazu auf den Seiten 18 und 19). Bei einem der teilnehmenden Mast-betriebe ging es um ein typisches Thema: die viel kritisierte Metaphylaxe. Der Tierhalter hatte in der Vergangenheit erheblich mit Magen-Darm-Erkrankungen (PIA) der Ferkel zu kämpfen, so dass in mehreren Einstalldurchläufen die Ferkel metaphylaktisch Antibiotika bekamen. Dies führte zu einem sehr hohen Therapieindex von 26,2 – und zur Überraschung des Landwirts. Dass die vorsorgliche Therapie, gegenüber den ansonsten geringen Einzeltierbehandlungen, derart zu Buche schlug, war ihm nicht bewusst. Nach Beratungsgesprächen mit Brinkmann fasste er den Mut, die Metaphylaxe schrittweise abzustellen. Ohne verschlechterte Tiergesundheit gelang dies beispielsweise mit Säuren, die über das Futter verabreicht wurden. Auch die gute Beobachtungsgabe des Landwirts kam zu Hilfe. Ein Jahr später hatte sich der Therapieindex auf 1,82 reduziert. Auch wenn dies ein besonders augenfälliger Fall sein mag, zeigt er doch, wie auf Grundlage von Beratung und Vertrauen Antibiotikareduktion trotz alter Gewohnheiten gelingen kann.
Für Brinkmann ist es selbstverständlich, QS-Therapieindex wie HIT-Kennzahlen aktiv in seinen Bestandsberatungen einzusetzen. Den Eingabeservice, den er für beide Daten-banken übernimmt, rechnet er bei den Tierhaltern ab. Dabei entfielen im letzten Jahr rund 20 Prozent des Praxisumsat-zes auf die verabreichten Antibiotika. Diesen Wert auf zehn bis 15 Prozent zu senken, mag sich Brinkmann noch vorstellen, mehr aber auch nicht. „Wenn ich auf einen APP-infizierten Ferkelbestand treffe, wie soll ich da ohne auskommen?“, fragt der Hoftierarzt, der zunehmend auf verunsicherte Landwirte trifft. Ihnen setzen die nieder-schmetternden, zuweilen verunglimpfenden Zeitungs- und Fernsehberichte der letzten Monate erheblich zu. Wird es zu bunt, schreibt Brinkmann Mails und Leserbriefe an die verantwortlichen Redaktionen, „auch wenn man darauf nie eine Antwort bekommt.“ Zunehmend erlebt sich der Veterinär als Kommunikationsdrehscheibe. Für produktiven Austausch sorgt da der „Verein engagierter Tierärzte e.V.“ (www.vet-gruppe.de), hier tauscht er sich regelmäßig mit einer 20-köpfigen Kollegenschar praxisübergreifend aus. Und auch die Fachpresse öffnet die Ohren für Brinkmanns Engagement. So druckte die „top agrar“ (Ausgabe April 2015) einen informativen Artikel, in dem er die viel diskutierte Resistenzproblematik speziell für landwirtschaftliche Leser aufbereitete und geraderückte. „Denn die Tierhalter möchten derzeit am liebsten ganz auf Antibiotika verzichten. Im Ernstfall aber müssen sie sein, aus betrieblich-ökonomischen ebenso wie aus Tierschutz-Gründen“, bekräftigt der Veterinär, „und wir Ärzte dürfen uns die Intervention auch nicht aus der Hand nehmen lassen.“ Für ihn sind Antibiotika wertvolle Notfallmittel, vor deren Einsatz aber alle Alternativen auszuschöpfen sind.
Quelle: “Zum Hofe” (2/2015) – Hier ansehen und herunterladen