Veterinär, Unternehmer, Politiker, „Geflügelpapst“. Dr. Manfred Pöppel weiß viele Zuschreibungen unter einen Hut zu bringen. „Ohne das geht es auch nicht“, brummt der 62-Jährige, der seit 1990 eine der führenden Fachtierarztpraxen für Geflügel besitzt. Sie liegt in Delbrück, im Kreis Paderborn. „Zum Hofe“ hat sich dorthin aufgemacht.
„Niemals Federvieh!“ Wenn etwas für den Studenten der Veterinärmedizin feststand, dann das. Vom Federvieh hatte er schon als junger Kerl genug. Pöppels Eltern hielten Hühner. Ein hartes tägliches Brot. Ihr kleiner Pachtbetrieb in der Nähe von Hannover warf außer viel Arbeit kaum etwas ab. Für den bereits fertig gelernten Landwirt und angehenden Tiermediziner stand deshalb fest, dass er gewiss nicht beim altbekannten Geflügel landen wollte. Viel lieber wollte er Pferde machen, ja, Pferde, das war was.
Als die Studienjahre in Berlin, später Hannover aber zu ihrem Ende kamen, wendete sich das Blatt – mit Hilfe von Fasanen: Manfred Pöppel, der damals schon den Jagdschein in der Tasche hatte, bekam das Angebot, über ihre Immunerkrankungen zu promovieren. Eine Fasanerie mit 1.800 Tieren in Niedersachsen wurde zu seinem Schaffensfeld. Die Doktorarbeit ging ihm leicht von der Hand, man verstand sich, er half dann und wann im Betrieb aus – und wurde weiterempfohlen. An Dr. Willi Jansen, einem Nutztierarzt im Paderborner Land. „Eine Koryphäe!“, erinnert sich Pöppel. „Der machte damals zwar auch noch ein paar Schweine, aber vor allem unendlich viel Geflügel. Die ganze Region besaß zahllose kleine Bestände mit Federvieh aller Art.“ Auch wenn es anders geplant war: Das Vogel-Eldorado lag dem Landwirtssohn. Dass er von Haus aus ein gutes Auge für die gefiederten Zweibeiner mitbrachte, kam ihm hier zugute.

Von 1983 bis 1989 blieb er als Assistenzarzt, 1990 übernahm der damals 36-Jährige „den Laden“. Dass Jansens Praxis florierte, das hatte ihm direkt gefallen. Denn zweifelsohne war an dem jungen Doktor auch ein Geschäftsmann verloren gegangen. „Ohne das geht es auch nicht, wenn Sie all die Ausfälle überleben wollen, die unsere Branche so mit sich bringt“, brummt er, darauf angesprochen.
Bis heute hält Pöppel seinem ursprünglichen Praxisstandort die Treue, baute dabei den Kundenstamm kontinuierlich aus. Für rund 250 Geflügel haltende Betriebe übernimmt er derzeit die Bestandsbetreuung, die meisten befinden sich im 100-Kilometer-Umkreis von Delbrück. Neun Tierärzte beschäftigt seine inhabergeführte Fachtierarztpraxis für Geflügel insgesamt, sechs Tiermedizinische Fach angestellte sowie Labormitarbeiter kommen hinzu. Auch Pöppels Ehefrau, ebenfalls Veterinärin, ist mit von der Partie, sie kümmert sich hauptsächlich um die Verwaltung. Dabei gehen Praxis- und Wohnraum selbstverständlich ineinander über, berufliches wie privates Leben verschwimmen. Lange Arbeitstage, selbst verständliche Wochenend- und Springer dienste gehören dazu. Zwischen alldem „infizierten“ sich auch zwei der drei gemeinsamen Kinder: Sie taten es ihren Eltern gleich und studierten – gegen den Rat des Vaters – Tiermedizin. Die Praxisnachfolge steht in den Startlöchern.

Dass diese Zukunft hat, dafür sorgte Pöppel 1993: Er installierte ein hauseigenes Labor. Die hohe Qualität der Diagnostik, verbunden mit der direkt richtigen Medikation, wurde für ihn zum täglichen Dreh- und Angelpunkt. Gleichzeitig steckt in ihr eine Investition, „die betriebswirtschaftlich nur dann funktioniert, wenn einerseits der Durchsatz stimmt, andererseits so viel laborerfahrenes Personal bereitsteht, dass es auch die Wochenenddienste abdecken kann.“ Rund 18.000 mikrobiologische Untersuchungen stemmen seine Leute pro Jahr, rund 5.000 mit Keimkennzeichnung, davon jede zweite mit Resistenzüberprüfung. „Was mich heute so richtig interessiert, ist die Pathologie, dazu die Physiologie. Beides zusammen bringt mich auf neue Ideen“,begeistert sich der 62-Jährige. Dass diese Ideen direkt in Richtung Stallmanagement gehen, ist für ihn selbstverständlich. „Das medizinische Geschick macht bei uns höchstens noch 50 Prozent aus.“ Es sind meist andere Faktoren, um die er sich Gedanken macht: Keimeinschleppung zum Bei-spiel, Lüftung, Einstreu, Wasserreinigung, eine neue Heizung, die zu installieren ist, ein Neubau, der zu viel Feuchtigkeit in die Streu abgibt. Alles in allem: die Beratung der Tierhalter.„Aber wehe, Sie wollen dafür auch etwas abrechnen, dann ist was los“, entfährt es ihm. „Es ist sehr viel leich-ter, bei der Kundschaft Tylosin für 1.000 Euro abzuliefern, als 500 Euro für Beratung aufzuschreiben, die letzt-lich zu viel geringeren Kosten führt.“ Als menschlich und kommunikativ zer-mürbend empfand er auch den halben Cent Betreuungspauschale, den er –wie sein Kollege und Freund Dr. Andreas Wilms-Schulze Kump – seit kurzem für jedes eingestallte Tier berechnet. Ihn bei der Kundschaft durchzusetzen war harter Tobak. Neben dem Eintrag in die HIT- und QS-Antibiotikadatenbank beinhaltet die Pauschale eine Laborbestimmung zum neuen Durchgang, einen Bestandsbesuch und alle anfallenden Sektionen, „so dass sich kleine Betriebe unter dem Strich finanziell sogar noch besserstellen“.
An Pöppel ist aber nicht nur ein Betriebswirtschaftler verloren gegangen, sondern wohl auch so etwas wie ein Politiker. Obwohl: „Mit Politik wollte ich nie etwas zu tun haben. Aber als Nutztierarzt steckt man plötzlich mittendrin, ob man will oder nicht.“ Das „Mittendrin“ begann, ganz konkret, mit Nitroimidazol-Derivaten. „Es muss 2001 gewesen sein, da fielen wir mit einer Jahresmenge bei einer DIMDI-Nachforschung auf. 278 Dosen zu je 100 Gramm, ich werde diese Zahl nie vergessen“, erinnert sich Pöppel und lässt seinen Kopf schwer in die Hände fallen. Seit 1997 schon besaßen die
Me-dikamente keine Zulassung mehr für Nutztiere. „Wohl aber für Brieftauben, wir hatten damals 70.000 in der Betreuung.“ Trotzdem: Von einem Tag auf den ande-ren geriet der Nutztierarzt erheblich unter Druck, sah sich einem Generalverdacht ausgesetzt. Aufzeichnungslücken belas- teten, eine Hausdurchsuchung drohte. Letztendlich kam Pöppel mit einem Schrecken davon: „Aber ich habe zwei Dinge verstanden: Zum einen das Arznei-mittelgesetz, mit dem ich mich intensiv auseinandersetzte“, bilanziert er. „Zum anderen, dass es mit dem Medikamenteneinsatz so nicht weitergehen konnte.“ Die gesellschaftlich-politischen wie auch wirtschaftlichen Entwicklungen gaben ihm Jahre später Recht. 2012 startete das Antibiotikamonitoring des QS-Systems, in dem Pöppels Betriebe mit ihren geringen Verbrauchsmengen auffallen, 2015 folgte das staatliche HIT-System. Auf das Verwaltungsaufkommen, das mit dem Dateneintrag verbunden ist, könnte Pöppel gut und gerne verzichten, gleichwohl: „Die Datenbanken sind der einzige Weg, um die ewige Diskussion um das Dispensierrecht zu beruhigen“, weiß der „Politiker“. Außerdem fiele im Tagesgeschäft der Umgang mit den letzten Unbelehrbaren leichter, „die immer noch meinen, man könne mal eben einen ‚Zettel‘ schreiben“.

„Kikok“ heißt das genaue Gegenteil von der Zettel-Mentalität und meint einen Broiler, der komplett ohne Antibiotika aufwächst. Markenname und Idee entstammen der Hähn-chenschlachterei Borgmeier, die im Paderborner Land beheimatet ist. 14 Mastbetriebe bilden – neben einer Brüterei – die Kikok-Erzeugergemeinschaft, deren Bestandsbetreuung zum Großteil Pöppel übernimmt. Für den ausschließlich frisch vermarkteten Vogel, der rund 200 Gramm weniger wiegt als der „Normalo“ unter den Hähnchen, zahlt der Verbraucher deutlich mehr. Ganz ohne Bio-Siegel. Dafür verspricht Borgmeier einen Hähnchengeschmack „wie früher“ – und null Antibiotika. Nach jedem neuen Medienskandal wächst die Nachfrage.
Weniger Bestandsdichte, grob geschrotete Schonkost auf Maisbasis, längere Aufzuchtzeit, kein Außenauslauf, Beschäftigungsmaterialien, kleinere Ställe mit guter Beobachtung, neuerdings „Ross Ranger“ als Rasse – das sind die wesentlichen Kikok-Eckpfeiler. Alles in allem keine Zauberei. Und das reicht für null Antibiotika? „Ja, das reicht“, sagt Pöppel, der die Broiler mit Impfungen schützt, zudem zu effektiven Mikroorganismen, Oregano-Gaben oder anderen Pflanzenstrukturen rät. Wird eine Herde dann doch auffällig, stabilisiert er mit Vitaminen und Mineralstoffen, wartet auch mal zwei, drei Tage ab. Aber was, wenn ein Bestand ernsthaft bakteriell zu erkranken droht? „Dann müssen wir natürlich behandeln, wirtschaftlich ebenso wie aus
Tierschutzgründen“, erklärt Pöppel, der dies für fünf bis zehn Prozent der Kikok-Durchgänge entscheiden als auch bescheinigen muss. Im Antibiotika-Fall verlieren die Tiere ihren Sonderstatus und kommen als „normale Hähnchen“ auf den Markt. „Wobei die höheren Investitionen für Aufzucht und Futter natürlich schon im Vogel stecken“, weiß der Kaufmann im Tierarzt.
Das „kleine bisschen Weiterdenken“, auch über den tiermedizinischen Tellerrand hinaus, das hat Pöppel in all seinen Berufsjahren gereizt. Eine Eigenschaft, die sich in einer langjährigen Ausschussarbeit für die Bundestierärztekammer als auch in seinem Engagement für den Bundesverband Praktizierender Tierärzte äußerte. Wenn es irgendwo Geflügelprobleme gab, ein Kollege zwischen die Regularien geriet, die Politik neue Regelwerke erließ oder schlichten Rat brauchte – bei dem gut vernetzten „Geflügelpapst“ klingelte alsbald das Telefon.
„Wenn ein Tier schon sein Leben für uns lässt, dann muss man auch vernünftiges Geld für sein Fleisch bezahlen.“
Heute ist es ruhiger geworden um den erfahrenen Hoftier-arzt, der aber immer noch laut und deutlich werden kann, wenn ihm etwas tüchtig gegen den Strich geht. Fleisch zu Billigpreisen etwa. „Wenn ein Tier schon sein Leben für uns lässt, dann muss man auch vernünftiges Geld für sein Fleisch bezahlen und es nicht verramschen. Von mir aus auch mit der Konsequenz, dass jeder Verbraucher 500 Gramm weniger isst“, poltert er los. Nachdenklich schiebt er hinterher: „Weniger ist manchmal mehr, das wusste mein alter Herr schon. Aber damals habe ich über ihn gelacht. Dieses enorme Produktionswachstum der letzten Jahre hat dazu geführt, dass wir im Stall so unheimlich empfindlich geworden sind. Eine langsamere Entwicklung wäre sinnvoller gewesen, diese ganze Geschwindigkeit hat uns, ehrlich gesagt, nicht gutgetan.“ So bekommt das Schlusswort der Politiker im Tierarzt: „Mit dem Werteverfall von Fleisch, von Nutztieren an sich haben wir uns ein Problem geschaffen, aus dem wir nur gemeinsam wieder rauskommen. Wenn es politisch etwas zu diskutieren gibt, dann das.“
Quelle: “Zum Hofe” (2/2016) – Hier ansehen und herunterladen