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Aus bester Familie – Hoftierarzt in dritter Generation: Jan-Bernd Lammers

24. Juli 2018

05Hinter einem Hoftierarzt steht häufig ein waschechtes Familienunternehmen. Die Wurzeln der inhabergeführten „Tierarztpraxis Lammers“ reichen bis in die 1930er Jahre zurück. „Zum Hofe“ hat die dritte Generation in Warendorf besucht. Jan-Bernd Lammers spezialisierte sich hier mit seinem achtköpfigen Praxisteam, zu dem auch seine Ehefrau gehört, auf moderne Schweine- und Rinderhaltung.

Am Rande eines Industriegebiets liegt sie, die Nutztierpraxis von Jan-Bernd Lammers. Von Weitem schon „punktet“ ihr Entree in Kuhfell-Optik. Eine Kleintierpraxis – mit Betonung auf klein – läuft mit, sie macht nicht mehr als fünf Prozent Umsatz aus.„Wir arbeiten dort nach dem Hausarztprinzip: Das Alltägliche übernehmen wir, wird es komplizierter, überweisen an die Kleintierkollegen“, erklärt Lammers. Ihm ist es wichtiger, bei zwei Tierarten – Schwein und Rind – richtig fit zu sein, zeitgemäß zu behandeln und schließlich ein gutes Gewissen gegenüber der Kundschaft zu haben. In Worten: „Wir sind katholisch; und das meinen wir auch so.“

Jan-Bernd Lammers (rechts) schätzt die enge Zusammenarbeit mit den Land-wirten. Sauenhalter Matthias Finkenbrink gehört mit zum Warendorfer Kundenstamm.

In der Pferdestadt Warendorf ist man vorwiegend katholisch. Und hat man zudem noch Tiere im Stall, dann ist das – neben edlem Warmblut – vorwiegend Borstenvieh.„Schon in den 1990er Jahren stellten viele Bauern auf Schweine um und bauten Betriebe auf, die viel professioneller arbeiteten als die alten Milchviehhöfe. Auch in Gesundheitsfragen dachten die neuen Landwirte schon auf Bestandsebene“, erinnert sich der 46-Jährige. Da der Triathlet gerne vorne mit dabei ist, fokussierte er sich im Studium ebenfalls auf Schweine, auch wenn er – wie sein Vater – leidenschaftlich gern als Rinderpraktiker unterwegs ist.

Seit seinem Praxiseinstieg 1997 bleibt er der „Schweinewirtschaft“ nun schon auf den Fersen. Sein Ehrgeiz ist es, „zu verstehen“: Ob Lüftung, Fütterung, Hygiene, Stalleinrichtung, Produktion, stressarme Aufzucht, der Fachtierarzt für Schweine will nicht auf hinzugerufene Berater vertrauen müssen, er möchte seinen kompletten Fachbereich selbst durchdringen. „Denn am Ende fällt mir das Thema doch wieder vor die Füße. Nehmen wir nur das Thema Salmonellen. Verbessern sich die Werte trotz Futter- und Hygieneberater nicht, muss doch der Mediziner ran“, führt Lammers aus. Langweilig wird ihm dabei nicht, denn die Entwicklungssprünge in der Schweinehaltung sind gewaltig. Allein die hohen Jahresleistungen der Sauen, die die Genetik in den letzten Jahren brachte, sprechen eine deutliche Sprache. Die Probleme, die aus den empfindlichen Hochleistungstieren erwachsen können, sind zahlreich, ob Stoffwechselproblemeoder Schwanzkannibalismus. Vieles in Infrastruktur und Tierhaltung muss da zusammenpassen, denn: „Mit einem Porsche kann man nun mal nicht über eine Schotterpiste fahren.“

„Mit einem Porsche kann man nun mal nicht über eine Schotterpiste fahren.“

Lammers bringt die Dinge gerne auf den springenden Punkt. Ebenso gerne begibt er sich aber auch in die fachliche Tiefe.„Und das macht natürlich mehr Spaß, wenn der Tierhalter auch zuhört, wenn ihn das alles genauso interessiert wie mich“, bekennt er schmunzelnd. Ja, die Chemie muss auf Dauer schon stimmen. Wenn nicht, wechselt auch mal einer der rund 150 Betriebe, die die Tierarztpraxis insgesamt betreut, unter den Teamkollegen. Hier bewährt es sich, nicht als „Alleinunterhalter“ unterwegs zu sein. „Ich möchte eben gerne alt werden, unnötigen Stress kann ich nicht gebrauchen“, erklärt der Familienvater – und meint es ernst: Klare Freizeitregelungen sind ihm ebenso wichtig wie seinen Mitarbeitern.„Wo früher die gute Bezahlung den Nachwuchs lockte, zieht heute die Familienverträglichkeit“, fasst er zusammen. Deshalb setzt er auf eine Mitarbeiterstruktur, die Wochenenddienste und 24-Stunden-Rufbereitschaft sozialverträglich abfedert.

Neben Jan-Bernd Lammers und seiner Frau Simone arbeiten drei angestellte Veterinäre in der Praxis, unterstützt von drei Tiermedizinischen Fachangestellten und einer Verwaltungsmitarbeiterin. Da sie alle auch zu tun haben müssen, spricht der Chef aktiv ältere Kollegen in der Region an: Gehen sie in den Ruhestand, dann übernimmt er, gegen Bezahlung, gerne ihren landwirtschaftlichen Kundenstamm. Zweimal – 1998 und 2014 – ist ihm das schon geglückt. „Wir wollen wachsen, dabei aber fair bleiben“, betont der Katholik. Natürliche Grenzen gibt ihm das Kreisgebiet Warendorf vor, darüber hinaus ist ihm die Fahrerei zu zeitintensiv – tiermedizinisch wie auch kauf männisch.

Das selbstständige Gestalten liegt Lammers im Blut, nicht umsonst schätzt er seinen Freiberuflerstatus. Er weiß, was er will – und auch, was nicht. Von Entwicklungen überrollt zu werden gehört zum Letzteren. Beispiel: Antibiotikaproblematik in der Nutztierhaltung.„Auch wenn das Thema heute erst richtig in der Landwirtschaft angekommen ist, war es längst absehbar. Wir machen uns seit Jahren darüber Gedanken“, setzt der Bestandstierarzt an, der sich eher als Gesundheitsberater denn als Mediziner versteht. „Es muss doch darum gehen, dass die Tiere überhaupt nicht krank werden. Und wenn es doch geschieht, dann müssen wir verstehen, warum.“ Mit detektivischem Interesse möchte er am liebsten jeden seiner Betriebe durchschauen –wie einen Glaskasten. Bleibt ihm dabei ein Baustein verschlossen, dann fuchst ihn das.

Seine Antibiotikaabgaben speist Lammers sowohl in die QS-Datenbank als auch in das staatliche HIT-System ein, die Praxissoftware bietet ihm eine Schnittstellenlösung. Auch wenn er den Therapieindex, den das QS-Antibiotikamonitoring quartalsmäßig errechnet, in seiner praktischen Be standsbetreuung wenig nutzt, so gefällt ihm doch die Offensive, in der sich die Tiermedizin hiermit gegenüber der Humanmedizin befindet. Was er sich insgesamt stärker wünscht, sind Konsequenzen, die aus den gesammelten Zahlen erwachsen.„Wir Tierärzte können die Landwirte doch nur beraten, nicht reglementieren, das müssen offizielle Stellen übernehmen. Wenn ein Landwirt aber nichts ‚muss‘, ihm nichts droht, dann macht er auch erst mal: nichts“, so Lammers. Er weiß eben wie seine Kundschaft tickt. Und er mag sie. Vielleicht genau wegen ihrer Eigenarten.

Manchmal aber ist es auch Zeit für deutliche Worte, die der Tierarzt spricht. Ein sehr deutliches Wort für jeden Bauern heißt: Sanierungsmaßnahme. „Es gibt Sauenbestände mit einem derart hohen Erregerdruck, dass die Tierarztkosten einfach aus dem Ruder laufen. Wenn wir dauerhaft 160 oder 170 Euro pro Sau im Jahr rechnen müssen und dazu noch Behandlungen mit Antibiotika, dann sollten wir grundsätzlich neu denken“, rechnet er vor.„Grundsätzlich neu denken“ bedeutet, die komplette Herde auszutauschen. Um damit neue Tiere in den Stall zu holen, deren Genetik die Gesundheit als auch das Leistungsniveau nach vorne bringt. 2008 sanierte er – gegen große Widerstände aller Berater – seine erste Sauenherde in einem geschlossenen System. Statt der ehemals 70 Tiere stieg der Bestand zugleich auf 240 an. „Den müssen sie dann auch erst mal ans Laufen bekommen und dabei den sauberen Status halten, das war nicht leicht. Aber bis heute sind alle Sauen PAS-frei und Mykoplasmen unverdächtig“, bilanziert Lammers, für den die Sanierungsfrage viel zu selten gestellt wird.

Dass so eine „Kaltsanierung“ viel Vertrauen seitens des Bauern und viel Selbstvertrauen seitens des Veterinärs bedarf, liegt auf der Hand. „Mein stärkstes Argument gegenüber dem Bauern ist: Ich verdiene danach 120 Euro weniger an jeder deiner Sauen“, so der Hoftierarzt, der ganz genau weiß, dass auf Strecke nur zufriedene Kunden satt machen. Sein hohes Preisbewusstsein ist für ihn Teil jeder guten Zusammenarbeit. Am Ende muss für den Landwirt einfach mehr übrig bleiben, deren Belastungsgrenze sei ohnehin längst erreicht.

Von Belastungsgrenzen weiß auch Lammers ein Lied zu singen, der ursprünglich gar nicht Tierarzt werden wollte. „Die müssen ja ständig arbeiten“, dachte er sich als Junge. Anschaulichen Unterricht erhielt er im eigenen Zuhause: Sein Vater – Dr. Hermann Lammers, Fachtierarzt für Rinder – hatte seine Praxis im eigenen Wohnhaus untergebracht. Ein typischer Familienbetrieb, wie man ihn von früher her kennt: Der Vater fuhr zu jeder Tages- und Nachtzeit über die Höfe. Die Mutter bewachte das Telefon, führte das Büro, verkaufte Medikamente, dazwischen liefen die Kinder. „Meine vier älteren Schwestern sind auch gerne beim Vater mitgefahren, ich hab mich aber nicht darum gerissen“, erinnert sich der Tierarztsohn, obschon ihn die Medizin stets interessierte.

Bevor sich der Praxis-Senior, Dr. Hermann Lammers (im weißen Kittel, Mitte), auf Nutztiere spezialisierte, behandelte der Warendorfer vor -rangig Pferde. Sein Spezialgebiet: Operationen. Hier Aufnahmen einer Blinddarm-OP bei der Traberstute Quasina, 1965. Sie glückte, wie das spätere Bild mit Fohlen beweist.

Nach der Schule lockte dann die Bundeswehr. Bis zum „General der Reserve“ blieb Lammers, dann wusste er: „Egal wie weit du es hier bringst, da ist immer noch einer über dir.“ Das wurmte den Freigeist – und Vaters Tierarztpraxis erschien mit einem Mal im neuen Glanz. So räumte der Hubschrauberpilot die Kaserne und schnupperte Hauptstadtluft: An der Freien Universität Berlin studierte er Tiermedizin. Als er 1997 in die heimische Praxis einstieg, erwartete ihn der 69-jährige Senior sehnsüchtig, es war an der Zeit, kürzerzutreten. Vielleicht ein glücklicher Umstand, Autoritätsprobleme zwischen beiden gab es nie.

Ein wahrer Segen, denn Familien- und Praxisleben unter einen Hut zu bekommen, ist gar nicht so leicht. Davon er-zählt der erste Teil der Praxisgeschichte Lammers, die bereits in den 1930er Jahren begann: Dr. Heinz Hombrink, Onkel und Ziehvater von Dr. Hermann Lammers, betrieb in Warendorf eine Tierarztpraxis. Schon früh half der Neffe dort mit und wurde, finanziert vom Onkel, schließlich zum Studium geschickt. Als der fertige Doktor dann aber in die Praxis einstieg, kam es immer wieder zum Autoritätskonflikt. Beide trennten sich schließlich und gingen eigene Wege.

„Mein Vater hat seine eigene Praxis dann mit vier oder fünf angestellten Tierärzten groß gemacht, das war in den 1960ern richtig viel. Außerdem spezialisierte er sich immer mehr auf Nutztiere“, erinnert sich der Junior. Zugleich profilierte sich der Senior als leidenschaftlicher Chirurg. Früh traute er sich an Labmagen-Operationen oder Kaiserschnitte im Stehen. In der Rückschau war er hierfür bestens präpariert: Für seinen Ziehvater Hombrink, der ihm das tiermedizinische Handwerkszeug beibrachte, war strenge Hygiene das A und O. Während des Kriegs arbeitete dieser im Pferde-Lazarett, da es keine Antibiotika gab, war genaueste Sauberkeit alles. „Sie hat er meinem Vater eingeschärft – und der wiederum mir“, erklärt Lammers, der Rinder bis heute mit hohem hygienischem Aufwand operiert, „und damit Familientradition über drei Generationen aufrechterhält“.

Und? Wie sieht es mit der vierten Generation aus? Lammers will seinen drei Kindern alle Freiheiten in der Berufswahl lassen, „obwohl medizinisches Interesse bei den Mädchen auf jeden Fall da ist.“ Noch aber liegt der Berufswunsch in weiter Ferne. Im Alter von sechs, neun und zwölf dreht sich das Leben um ganz andere Vorhaben. Um Haustiere etwa, um einen Hund vielleicht? „Nein, so was kommt mir nicht ins Haus und auch nicht in den Kofferraum“, winkt Lammers rigoros ab. Er gehört zu den eingefleischten Medizinern unter den Veterinären. Tiere gehören für ihn in den Stall, und wenn es ihnen da gut geht, ist ja alles bestens. So weit, so gut. Wäre da nur nicht die ungeheuer widerstandsfähige Allianz, die Kinder und Tiere bilden. Immerhin zu zwei Ziegen, die das Grünland um seine Praxis herum abgrasen, ist der Familienvater schon gekommen. An der Leine laufen die beiden auch schon. Wie ein Hund. Alles Weitere wird sich zeigen –und das Ende bleibt offen.

 

Aus dem QS-System, Gastbeiträge und Reportagen, Landwirtschaft

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