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Das bayerische Fenster zum Hof – Allround-Tierärztin der Voralpen: Dr. Annegret Wagner

24. Juni 2018

05„Hier kann ich arbeiten wie James Herriot“, sagt Dr. Annegret Wagner über ihr Leben im Voralpengebiet. Vor gut zehn Jahren ließ sich die Veterinärin in Samerberg, Landkreis Rosenheim, nieder, einer bayerischen Wanderregion wie aus dem Bilderbuch. Damit es der Allround-Hoftierärztin in all der Idylle nicht etwa eintönig wird,schreibt sie – neben ihrem Praxisalltag – für wir-sind-tierarzt.de. Die Online-Zeitung erhielt im letzten Jahr den BTK-Medienpreis. „Zum Hofe“ gratuliert und stellt die Kollegin vor die Kamera.

Es war ihre Liebe zum Reisen, die die Tierärztin zum Schreiben brachte: Fünf Praktika in den USA und Großbritannien absolvierte Annegret Wagner während ihres Studiums, später übersetzte sie englischsprachige Fachartikel und bot sie der hiesigen Branchenpresse an. Daraus wurden weitere Aufträge und schließlich: wir-sind-tierarzt.de (mehr auf Seite 11). Seit 2014 schreibt und fotografiert die Hoftierärztin neben ihrem Praxisalltag für die Online-Zeitung, die sich speziell an Veterinäre richtet. Bislang ein reines Privatvergnügen, das reichlich Stunden kostet, monetär aber noch nichts einbringt. Dafür freut sie, dass „meine Bauern fleißige Online-Leser sind“ und sie auf Themen ansprechen, für die im Alltag meist zu wenig Gesprächszeit bleibt.

Wer braucht hier noch einen Tierarzt? Annegret Wagner liebt die Vielfalt, die ihr die kleinen Höfe im Voralpenland bieten.

Das Einzugsgebiet ihrer Einzelpraxis, in dessen Mitte sie lebt, beschreibt sie als „Insel der Glückseligen“. Diese Insel liegt im Voralpengebiet, außer Graswirtschaft und Milchvieh gibt es hier nicht viel. 90 Prozent ihres Geschäfts bestreitet Wagner mit traditionellen Familienbetrieben. Auf jedem zweiten Hof trifft sie noch auf Anbindehaltung, 20 bis 80 Milchkühe zählen die einzelnen Bestände. „Finanziell geht es meinen Milchbauern durchweg gut. Sie profitieren vom guten Auszahlungspreis, für den der Landkreis Rosenheim bekannt ist. Förderungen für den Weideaustrieb etwa oder die Almpflege kommen hinzu, außerdem der Tourismus“, zählt Wagner auf. Zusammen ergibt sich eine entspannte Lebenshaltung. „Die Bauern sagen sich einfach, wenn ich mit 80 Kühen finanziell nicht zurechtkomme, dann mit 120 auch nicht. Die Stellschrauben müssen woanders liegen.“ Auch wenn die gebürtige Hessin eigentlich nie in Bayern leben wollte, hat sie die menschliche Großzügigkeit und die hohe Lebensqualität hierzulande schätzen gelernt. „Leben und leben lassen“ heißt die Devise. Das wirkt sich auch auf die – treuen –Geschäftsbeziehungen aus.

 


„Die einzelne Kuh besitzt nach wie vor Wert, den Bauern liegen ihre Tiere am Herzen.“

Die moderne und damit große Tierproduktion lernte Wagner in ihren ersten Berufsjahren kennen. Selbst ist sie in der Landwirtschaft aufgewachsen, ihre Eltern betrieben einen Schweinemastbetrieb nahe Marburg, den heute ihr Bruder führt. Als Tierärztin schätzt sie jedoch die kleinen Strukturen des Alpenvorlands. „Die einzelne Kuh besitzt nach wie vor Wert, den Bauern liegen ihre Tiere am Herzen“, erklärt sie und muss lachen. Sie kommt ins Erzählen und berichtet von einem Landwirt, der kürzlich wegen eines kranken Kalbes anrief. „Das ist so nett, häng das doch nochmal an den Tropf“, sagte er. Ein anderer meldete sich zu seiner „sympathischen Lieblingskuh, die eine Infusion braucht.“ Wagner freut sich über die freundliche Art und das Miteinander.

Zudem liebt die Bauerntochter die Vielfalt, die ihr die „wenig fortschrittlichen“ Höfe bieten: Kränkeln die Hofhühner, die Ponys der Kinder, die ein bis zwei Schweine, die wie eh und je zur Selbstversorgung gehalten werden, dann kommt sie vorgefahren. Nebenbei versorgt Wagner Katzen, Kaninchen, Hunde, eben jeden, der gerade einen Tierarzt braucht. In ihrer Wohnung am Rande einer Bauernschaft hat sie einen kleinen Behandlungsraum eingerichtet. Wer reinkommt, kommt direkt dran, wird es komplizierter, überweist sie zu spezialisierten Kollegen. Bis dahin aber erlebt sie Vielfalt pur. Für Annegret Wagner ein wahr gewordener Tierarzt-Traum. „Ich kann hier arbeiten, wie ich es mir als Studentin vorgestellt habe“, sagt sie. Der Berufswunsch, den sie schon als Kind hatte, erfüllte sich. Sie ist zufrieden.

Dabei kam zunächst alles ganz anders als geplant: Nach ihrem Studium an der Justus-Liebig-Universität Gießen wollte sie eigentlich „Pferde und Norddeutschland“. Dass daraus „Rinder und Süddeutschland“ wurden, ergab sich nach und nach. Ein handfester Grund für die Umorientierung jedoch lag in der Bezahlung, die in Bayern als auch bei den Nutztieren traditionell besser ausfällt. 15 Jahre lang praktizierte sie zunächst als angestellte Tierärztin und freie Mitarbeiterin, sammelte Erfahrung und Selbstbewusstsein. Dann, 2005, stellte sie sich auf eigene Füße und übernahm ihre jetzige Praxis in Samerberg. Den vorherigen Inhaber kannte sie persönlich, da sie in einer benachbarten Tierarztpraxis, mit der sie heute noch kooperiert, frei
mitarbeitete. Das erleichterte ihr auch den Einstieg bei der neuen Kundschaft. Trotzdem sei die Frage erlaubt: Wie reagierten die hiesigen Bauern, als plötzlich eine Frau auf ihren bayerischen Traditionshof fuhr, noch dazu eine zugezogene?„Ach, an Tierärztinnen haben die sich längst gewöhnt. Denen bleibt ja auch gar nichts anderes mehr übrig, bei aktuell 90 Prozent Studentinnen in der Veterinärmedizin. 67 Prozent des Personals einer Rinderpraxis sind bereits weiblich“, winkt Wagner gelassen ab. „Nur die Chefs noch nicht.“ Soeben besuchte sie den Tierärztekongress in Leipzig und brachte einige neue Zahlen mit nach Hause. So idyllisch es in ihrer Wahlheimat auch zugeht, ein bisschen Frischluft tut gut. „Auch ein guter Grund, bei wir-sind-tierarzt.de mitzumachen“, meint Wagner.

Fragt sich nur, wie es bei alldem mit ihren Arbeitszeiten aussieht. Wie steht es um Urlaube, Wochenenden und Nächte? Die Einzelkämpferin lässt auch dieses Thema kalt: Mit einer benachbarten Praxis entwickelte sie ein Vertretungssystem, das ihre Urlaubszeiten abdeckt. Die Wochenenddienste verteilen sich auf insgesamt drei Tierärzte, so dass Wagner nur jede dritte Woche ran muss. Anfallende Nachtdienste übernimmt sie selbst – problemlos: „Vielleicht einmal im Monat weckt mich ein Notfall. Die Zeiten, wo die Bauern um Mitternacht noch hinter ihren kalbenden Kühen saßen, sind auch hier definitiv vorüber.“

Mehr Dynamik erlebt sie dafür tagsüber, das Handy immer in Griffweite. Stressig? Wagner wiegt den Kopf, nein, ihr gefällt es, dass ihre Bauern auf einen lokalen Tierarzt Wert legen, der auch Notdienste garantiert. Mit rund 25 Kilometern umreißt sie ihren Radius. „Dass es keine Notfälle mehr geben soll, wie man es in der Branche ja gerne mal hört, ist Unsinn. Natürlich gibt es sie“, entfährt es der resoluten Rinderpraktikerin. Was sie richtig ärgert, ist, wenn sich die Tierärzte zu viel aus der Hand nehmen lassen. Die Antibiotikadebatte ist so ein Beispiel:„Wozu habe ich denn Medizin studiert, wenn der Bauer schon alleine weiß, was er spritzen muss?“ Wagner behält die Zügel lieber selbst in der Hand. Wie weit sie die Tierhalter in die praktische Behandlung einbeziehen kann, entscheidet sie je Einzelfall.

Dreimal ist der 49-Jährigen der Einstieg in eine Gemeinschaftspraxis angeboten worden. Dreimal hat sie abgelehnt. Ihre Freiheit ist ihr wichtiger, bewusst hat sie sich gegen Angestellte entschieden, auch gegen Kinder. Dafür leistet sie sich „Extravaganzen“: Wenn sie medizinisch etwas ausprobieren will, dessen Gelingen sie nicht abschätzen kann, bespricht sie sich mit dem Tierhalter und trägt die Kosten selbst, sollte etwas schiefgehen. Will die Zusammenarbeit mit einem Bauern einfach nicht rund laufen, zieht sie Konsequenzen – und streicht ihn in ihrer Kundenkartei. Umsatzdruck hat sie nicht. Sie kommt zurecht, braucht nicht mehr als das, was sie hat. Ja, über einen Hauskauf denkt sie schon nach, aber eine Immobilie macht eben auch schrecklich immobil, unbeweglich. Kontraproduktiv für eine rau wie Wagner, die begeistert von ihren zwei selbst ausgebauten VW-Bussen, ihren fünf Kajaks und vier Mountainbikes spricht. Auf Letzteren unternimmt die drahtige Sportlerin auch in der Woche gerne Touren. Tiermedizinisch kein Problem, da sie auf ihrem Bike mehr Höhenmeter als Kilometer macht: Klingelt das Handy, ist sie, bergab, rasend schnell an ihrem bereitgestellten VW-Bus. Notfälle gibt es schließlich immer wieder.

Quelle: “Zum Hofe” (1/2016) – Hier ansehen und herunterladen

Gastbeiträge und Reportagen, Landwirtschaft

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