
Die amtliche Schlachttier- und Fleischuntersuchung liefert die entscheidenden Daten zur Ermittlung von Tierschutzindikatoren. Dazu erhebt sie zusätzliche Befunddaten, die über den Schlachthof zurück an den Tierhalter laufen können. Der wiederum kann sie in sein Bestandsmanagement einfließen lassen. Die Tönnies Holding möchte hierbei Vorreiter sein. In einem Interview für unser Tierarztmagazin „Zum Hofe“ haben wir Jörg Altemeier nach seinen Erfahrungen gefragt. Der Tierarzt leitet die Stabsstelle „Tierschutz und Tiergesundheit“ in der Unternehmenszentrale in Rheda-Wiedenbrück.
Frage: Tönnies gehört zu den ersten Schlachtbetrieben, die ihre Befunddaten – besonders aufbereitet – an die Landwirte zurückspiegeln. Wie sieht das konkret aus?
Altermeier: Mit jeder Schlachtabrechnung bekommt der Tierhalter eine erste Befunddaten-Auswertung, die sich auf die jeweils gelieferte Partie bezieht. Viel mehr Informationen und übergreifende Auswertungsmöglichkeiten erhält er online. Auf seinem Nutzerkonto kann er seine Daten detailliert einsehen und sich auswerfen lassen, wie sich einzelne Befunde, beispielsweise die Leberverwurmung, in den letzten Jahren entwickelt haben. Oder wie der Bestand im Vergleich zu anderen Betrieben dasteht – um nur zwei Beispiele zu nennen. Anhand von Visualisierungen, über Ampelfarben oder Smileys können wir schließlich Aussagen treffen, die auf Anhieb verständlich sind.
Frage: Wie reagieren die Landwirte auf Ihr Angebot, nehmen sie es an?
Altermeier: Wir bekommen immer mehr Feedback und sehen, dass Offenheit und Interesse steigen. Zudem nutzen Fachtierarztpraxen, mit denen wir zusammenarbeiten, unsere Auswertungen für ihre Bestandsbetreuung. Nach Einwilligung des betreffenden Landwirts können sie Datenzugriff erhalten. Gleiches gilt für andere Berater wie die Schweinegesundheitsdienste. Wichtig für alle ist, dass sich die Informationen intuitiv, also schnell erschließen lassen und dass die Daten belastbar sind.
Frage: Sie betonen das Wort „belastbar“ …
Altermeier: Derzeit heißt die größte Herausforderung bei den Befunddaten: Objektivierung. Wir müssen die erhobenen Informationen, damit wir überhaupt belastbare Aussagen treffen können, aufwendig quantifizieren.
Frage: Warum müssen Sie Befunddaten quantifizieren?
Altermeier: Zwei Aspekte: Zum einen wissen wir aus einer wissenschaftlichen Untersuchung, dass die amtlichen Veterinäre Befunde unterschiedlich bewerten. Was für den einen noch okay ist, bedeutet für den anderen schon eine Abweichung. Der einzelne Tierarzt besitzt durchaus Stringenz in seiner Beurteilung, aber die Streuung untereinander ist enorm. Die Kalibrierung der Sachverständigen ist also ein Riesenthema. Um es anzugehen, wurde von amtlicher Seite aus bebildertes Schulungsmaterial erstellt, das Befundbeispiele zeigt und anschaulich bewertet. Zudem arbeitet das ‘Max Rubner-Institut’ in Kulmbach einheitliche Schulungen der Amtstierärzte aus. Erste Anfänge sind also gemacht, das Ziel ist aber längst nicht erreicht.
Frage: Und der zweite Aspekt?
Altermeier: Der betrifft unser föderales System: Den amtlichen Tierärzten, die bei Tönnies arbeiten, steht zwar an allen Standorten das gleiche Equipment zur Verfügung, aber sie erfassen die Befunde nicht einheitlich. Je nach zuständigem Veterinäramt arbeiten sie mit unterschiedlichen Datenschlüsseln. Die erfassten Datensätze technisch in einen übergreifenden Vergleich zu bringen, ist eine große Herausforderung. Was wir deshalb auf lange Sicht brauchen, ist eine bundeseinheitliche Lösung. Denn, ganz nebenbei bemerkt, kostet uns die Fleischbeschau einen Haufen Geld. Allein am Standort Rheda-Wiedenbrück arbeiten über den Tag verteilt 26 amtliche Tierärzte und gut 60 amtliche Fachassistenten.
Frage: QS erfasst ja nun seit fast zwei Jahren ebenfalls die Befunddaten. Wo sehen Sie den Nutzen, insbesondere auch für das Unternehmen Tönnies?
Altermeier: QS erfasst die Befunddaten von fast allen Schlachtbetrieben und gibt uns monatlich eine Rückmeldung über die gemeldeten Daten. Dadurch können wir leicht prüfen, ob Fehler bei der Erfassung und Weitergabe der Daten vorlagen und diese bei Bedarf korrigieren. Zudem erhalten wir die Möglichkeit, unsere Daten mit den anonymisierten Daten anderer Schlachtbetriebe zu vergleichen. Wir wissen ja, dass es Unterschiede zwischen einzelnen Schlachtbetrieben gibt.Aber anhand der QS-Daten können wir das viel besser einordnen; und wir geben die Ergebnisse auch an die amtlichen Veterinäre weiter. So haben auch sie die Möglichkeit zu sehen, zu welchen Ergebnissen die Befunderfassung an anderen Schlachtbetrieben kommt. Sie können diese bewerten und – falls Ergebnisse bei einzelnen Befunden deutlich von denen anderer Schlachtbetriebe abweichen – die Erhebung bei zukünftigen Schlachtungen genauer prüfen.
20,4 Millionen Schweine und 424.000 Rinder wurden 2016 innerhalb der Tönnies Holding geschlachtet. Das 1971 gegründete Unternehmen gehört mit seinen 12.500 Mitarbeitern zu den größten deutschen Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetrieben, es verzeichnet einen Konzernumsatz von 6,35 Milliarden Euro (2016). Der Exportanteil liegt bei 50 Prozent. Neben den deutschen Standorten existieren zwei dänische Produktionsstätten, sortenrein geschlachtet wird an allen. |
Frage: Als Sie damals Tiermedizin studierten, taten Sie es mit dem Credo, ein „berufener Schützer der Tiere“ zu werden. Wie geht es Ihnen heute als Veterinär bei einem Schlachtbetrieb?
Altermeier: Bevor ich zu Tönnies kam, hatte ich schon einige Schlachtbetriebe gesehen, in Deutschland und auch im Ausland. Ich habe Gutes gesehen, aber auch Schlechtes. Sehen Sie, allein am Standort Rheda-Wiedenbrück schlachten wir am Tag 25.000 Schweine. Wenn ich hier, als Veterinär, nur eine Kleinigkeit verbessern kann, dann kommt das sehr, sehr vielen Tieren zugute. Die Stellschraube ist eine gewaltige. Solange wir als Gesellschaft Fleisch essen wollen, so lange werden wir schlachten müssen. Und ich finde, wir sollten das so ordentlich machen wie irgend möglich.
Frage: Welche Aufgaben übernimmt die Stabsstelle „Tierschutz und Tiergesundheit“ in Ihrem Hause?
Altermeier: Als ich ins Unternehmen kam, 2012, entstand dieser Bereich gerade neu. Es war die Zeit, in der allen klar wurde, dass aus der Fleischproduktion ein gesellschaftlich brisantes Thema geworden war. Nicht ohne Grund ist die Stabsstelle unmittelbar der Geschäftsführung zugeordnet. Tierschutz und Tierwohl betreffen natürlich auch die landwirtschaftlichen Produktionsstufen, aber in der Schlachtung, in der Tat, geschieht der einschneidendste Part. Bei uns geht es vom Diesseits ins Jenseits – hoch emotional. Ich erinnere mich gut, als ich hier anfing hatten wir es mit einer Medienberichterstattung zu tun, die lautete in etwa: ‚Jedes Jahr gehen eine halbe Millionen Schweine lebend in den Brühkessel.’ Eine abscheuliche Vorstellung.
Die besagte Berichterstattung basierte auf einer Arbeit von Prof. Dr. Klaus Troeger. Für die Fachzeitschrift „Fleischwirtschaft“ hatte er kleine und mittelgroße Schlachtbetriebe besucht. Er fand heraus, dass ein Prozent der untersuchten Schweine noch zentralnervöse Reflexe zeigt, bevor sie in ein 60 Grad heißes Bad gehen, das notwendig ist, um die Borsten zu entfernen. Die Ursache dafür sah er in einem zuvor mangelhaft ausgeführten Halsstich und einem demzufolge ungenügenden Ausbluten. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ (28.06.2012) zitierte Troegers Forderung: „Man muss die Technik so zuverlässig machen, dass menschliches Versagen keine Folgen hat.“ |
Frage: Wie sind Sie mit den Medienberichten umgegangen?
Altermeier: Ich habe Kontakt mit Professor Troeger aufgenommen. Wir haben ihn zu uns eingeladen, ihm unseren Schlachtprozess gezeigt. Gemeinsam haben wir dann eine zweigleisige Sicherheitsstufe entwickelt und schließlich im System etabliert: Zum einen wiegen wir den Blutverlust eines jeden Schweins nach dem Halsstich, er muss mindestens 1,7 Prozent des Körpergewichts betragen. Zum anderen überprüft ein Mitarbeiter den Lidschluss-Reflex des Auges. Jedes Tier, das noch wahrnehmungsfähig ist, reagiert darauf. Uns war außerdem wichtig, dass am Schluss noch einmal ein Mensch nachschaut, nicht nur ein Apparat; das Thema ist einfach zu emotional. Heute können wir absichern – und dokumentieren –, dass wirklich alle Schweine tot und ohne Bewusstsein sind. Nebenbei bemerkt: Die Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftler hat sich als fruchtbar erwiesen,sie hält bis heute an.
Frage: Machen Sie so etwas öfter? Ihre Kritiker in den Betrieb holen?
Altermeier: Wir gehen aktiv auf andere zu, das stimmt. Sogar auf die amerikanische Tierschutz-Ikone Temple Grandin, auch sie hatten wir hier zu Gast. Ihre verfilmte Biografie kam 2010 in die Kinos, vielleicht erinnert sich der ein oder andere, sie gewann einige Emmy Awards. Ihr Besuch beeindruckt mich bis heute. Auch Tierschutzorganisationen laden wir zu uns ein, wir setzen uns mit ihnen an einen Tisch. Mit den meisten NGOs lässt sich persönlich übrigens ganz gut sprechen. Und genau darum geht es: miteinander ins Gespräch zu kommen. Das gilt für alle, auch für die Landwirte. Viele von ihnen, vor allem in der jungen Generation, sind offen für Themen wie Tierwohl, Ethik, gesellschaftliche Verantwortung. Aber manch einer hat noch schön Nachholbedarf.
Frage: Tönnies arbeitet selbst gerade an der Betäubung der Schlachttiere. Worum geht es da?
Altermeier: Wir betäuben die Schweine, bevor sie den Halsstich bekommen, mit Kohlendioxid. Wenn Gaskonzentration und Zeit stimmen, dann führt es zur perfekten Betäubung. Trotzdem gibt es einzelne Tiere, die aversive Reaktionen zeigen, sie schlagen mit dem Kopf oder zeigen andere Formen der Abwehr. Um dies zu vermeiden, haben wir mit anderen Edelgasen experimentiert, mit Argon- und Helium-Mischungen, zuletzt auch mit Stickstoff. Bislang haben uns die Ergebnisse aber nicht überzeugt, das, was wir haben, ist besser. Trotzdem sind wir weiterhin auf der Suche. Ob und wie häufig die besagten Abwehrreaktionen auftreten, hängt übrigens maßgeblich davon ab, wie viel Stress die Tiere vorher erlebt haben.
Weniger der Transport, mehr das Abladen stresst Schweine. Daher verweilen sie bei Tönnies anschließend in einem Wartebereich – und kommen dort zur Ruhe: seichte Musik, gedämpftes Licht, Grüntöne, all dies soll die Aufregung nehmen. Am wichtigsten jedoch ist, dass die Tiere in ihrer schon bekannten Gruppe bleiben, bei den Schweinen, mit denen sie zusammen den Stall verlassen haben. Bis in die Betäubung hinein bleibt die Gruppe beieinander. |
Frage: Gibt es Tierschutz-Verbesserungen, die in Ihrem Hause aktuell anstehen?
Altermeier: Ja, es gibt ständig etwas Neues. Ich komme gerade aus einem Meeting zu einer App, die wir einsetzen wollen. Unsere tierschutzbeauftragten Mitarbeiter machen pro Tag vier Rundgänge. Alle Kontrollpunkte, die sie besuchen, dokumentieren sie bislang auf einer Checkliste per Hand. Das wollen wir verbessern. Zukünftig verifiziert eine App, ob und wann der einzelne Mitarbeiter vor Ort war. Sehen Sie, Vertrauen ist gut, aber Dokumentation ist besser. Gerade heute, wo wir uns immer wieder in einer kritischen öffentlichen Auseinandersetzung befinden, brauchen wir absolut belastbare Beweise für die gute Arbeit, die wir machen.
Bevor Jörg Altemeier in Hannover mit Tiermedizin begann, absolvierte er ein Studium der Chemie. Die Affinität zur Naturwissenschaft trieb ihn zu beidem an. Zur Veterinärmedizin zudem die Freude an den Tieren: Der 53-Jährige ritt über viele Jahre, er hält bis heute Hunde und besitzt den Jagdschein. Außerdem fotografiert er – mit jagdlicher Ausdauer – Wildtiere; zuletzt Seeadler in Mecklenburg-Vorpommern. |