Wie lassen sich antibiotikaresistente Erreger zurückdrängen? Dieser Frage ist Prof. Dr. Uwe Rösler auf der Spur, seines Zeichens Direktor des Instituts für Tier- und Umwelthygiene im Zentrum für Infektionsmedizin der Freien Universität Berlin. Er steht dem staatlich geförderten Forschungsverbund „EsRAM“ vor, der antibiotikaresistente Erreger bei Geflügel erforschen und eindämmen will.
Die Abkürzung EsRAM steht für: Entwicklung stufenübergreifender Reduktionsmaßnahmen für antibiotikaresistente Erreger beim Mastgeflügel. Seit März 2016 fördert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft den bundesweiten Forschungsverbund. Im Zuge der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie stellt es 2,46 Millionen Euro über drei Jahre zur Verfügung. Im Fokus stehen resistente Enterobakterien (ESBL) sowie der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA).
Rösler und sein Forscherteam betrachten – und das macht EsRAM aus – den kompletten Lebenszyklus der Tiere: von der Brüterei bis in den Schlachthof. In Fokus stehen Technologien zur Brutei-Desinfektion und -Hygiene, verbesserte Haltung, Stallhygiene, Fütterungsschemata, Futtermittelzusatzstoffe, Keimreduktion bei Mist und Spülwässern. Auch die Schlachtung und Verarbeitung behalten die Wissenschaftler im Blick, um einen möglichen Erreger-Transfer am Ende der Produktionskette einzudämmen. Was Hoftierärzte heute schon von EsRAM lernen können, wollte „Zum Hofe“ wissen. Antworten zur Projekt-Halbzeit:
Frage: Professor Rösler, wenn Sie als Veterinärmediziner auf EsRAM schauen, was schätzen Sie an dem Projekt?
Prof. Dr. Uwe Rösler: Als wir starteten, kannten wir aus der vorhergehenden Forschung bereits eine ganze Reihe kritischer Punkte für das Vorkommen resistenter Erreger. Ihnen können wir uns nun widmen – und zwar über den gesamten Produktionsprozess hinweg. Genau das macht EsRAM für uns Wissenschaftler außergewöhnlich und im Ergebnis aufschlussreich.
Frage: Könnten Sie das an einem Beispiel konkret machen?
Rösler: Ja, gerne. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass wir uns bei EsRAM gar nicht mit dem quantitativen Antibiotikaeinsatz beschäftigen, also mit dem, was die staatliche HIT-Datenbank oder das QS-Monitoring dokumentiert. Das ist doch ganz spannend, nicht wahr? Warum nicht? Innerhalb eines vorhergehenden Forschungsprojektes hatten wir die Gelegenheit, komplette Herden wissenschaftlich zu begleiten. Uns fiel auf, dass auch bei Durchgängen, die nachweislich nie ein Antibiotikum erhielten, resistente Erreger auftauchten – teilweise sogar im erheblichen Maße. Das heißt: Die resistenten Keime kommen unabhängig von einem verabreichten Antibiotikum vor. Eine zentrale Information!Auf ihrer Grundlage widmen wir uns den horizontalen und vertikalen Übertragungswegen. Wie können wir etwa verhindern, dass über die Elterntiere, über die Brüterei, über den Maststall und die vorhergehenden Durchgänge resistente Keime in die nachfolgende Stufe eingetragen werden und dann dort zirkulieren? Oder: Wie können wir vermeiden, dass Masthähnchen, von denen wir ohnehin wissen, dass sie in keimbelasteten Umgebungen leben, kolonialisiert werden?
Frage: Bevor wir da weitermachen, kurz eine Rückfrage zu den Antibiotikamonitoring-Programmen. Wie bewerten Sie sie in Hinblick auf die Resistenzfrage?
Rösler: Klar ist: Die alleinige Reduktion von Antibiotikaabgaben wird unser Problem nicht lösen, zumal neue Resistenzen seltener entstehen, als wir bislang glaubten. Genauso klar ist aber auch, dass jeder Antibiotikaeinsatz die schon vorhandene resistente Keimflora erheblich fördert und extrem in ihrer Vermehrung unterstützt. Deshalb sind gute Hygiene und Immunprophylaxe in der Nutztierhaltung entscheidend. Wenn dann doch behandelt werden muss, weil Tiere erkranken, dann nur aufgrund einer sehr sorgfältigen Diagnose mit Antibiogramm und Resistenz- Gen- Bestimmung. Das sage ich als Wissenschaftler und Veterinärmediziner. Nur über Antibiogramme, die zukünftig verpflichtend sein sollten, kann ich Daten generieren, die die jeweilige Resistenzlage auszudrücken vermögen und auf die der bestandsbetreuende Tierarzt seine Therapie stützen kann.
Frage: Da sind wir schon bei einem Blick in die Zukunft. Wie wird sich die Bestandsbetreuung verändern? Wie wichtig werden Datennetzwerke?
Rösler: Ich kann mir gut vorstellen, Resistenzdaten, Antibiotikaverbrauchsmengen und Therapieschemata miteinander zu verknüpfen und den Praktikern vor Ort, individuell für den einzelnen Bestand, verfügbar zu machen. Ob als ausführende Instanz die Wissenschaft, der Staat oder eine einzelne Organisation steht, sei einmal dahingestellt. Was wir aber letztlich brauchen, ist ein resistenzdatenbasiertes Support-System, das sämtliche Informationen, die für die Therapie hilfreich sein können, integriert und dem bestandsbetreuenden Tierarzt als Entscheidungshilfe zur Verfügung steht. Dazu muss aber teilweise weiteres Wissen generiert werden. Wir wissen beispielsweise noch nicht, wie die evidenten Therapieempfehlungen der ersten, zwei-ten und dritten Wahl für wichtige Infektionserkrankungen einiger Tierarten aussehen. Hier gilt es, vorhandene Erkenntnisse einzusammeln und da, wo erforderlich, nach weiteren zu forschen. Das ist unter anderem Aufgabe des künftigen ‚Tierärztlichen Zentrums für Resistenzforschung‘, das gerade hier an der Freien Universität Berlin neu entsteht und unter praxisevidenten Bedingungen forschen kann.
Frage: Kommen wir zurück zu EsRAM von heute. Wie kommt es eigentlich, dass Sie sich nur dem Hähnchen widmen?
Rösler: Auch die Pute schauen wir uns an, zudem sind viele Erkenntnisse auf andere Tierarten, insbesondere auf das Geflügel übertragbar. Aber grundsätzlich haben Sie recht, unser aktueller Fokus liegt klar auf der Hähnchenmast. Für eine Ausweitung, etwa auf das Schwein, fehlt schlichtweg das Budget. Außerdem sind wir zwingend auf Wirtschaftspartner angewiesen, die mitziehen und uns die Perspektiven und die Interessen der Landwirte vermitteln. Im ‚Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft‘ haben wir einen solchen Partner, er öffnet uns wahrlich Stalltüren. Was wir derzeit dahinter – also im Geflügelstall – finden, ist für uns Wissenschaftler schon ideal: Das ganze Gebäude ist zwischen den Durchgängen frei, kann einmal komplett gereinigt und desinfiziert werden. Interessant für uns: In den meisten Fällen waren die Keime des vorhergehenden Mastdurchgangs – trotz der eigentlich idealen Bedingungen – noch im Stall zu finden. Die kritischen Kontrollpunkte aber konnten wir identifizieren, wir arbeiten sie gerade auf.
Frage: Können Sie mehr zu diesen kritischen Punkten sagen? Was lässt sich schon für die Praxis mitnehmen?
Rösler: Das hängt von jedem einzelnen Stall ab, von seinem Zu-stand, von den verbauten Materialien. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich es mit einem Mauerwerk zu tun habe, in dem vielleicht auch noch Holz verarbeitet ist, oder ob der ganze Stall auf einer Betonplatte sitzt und mit Edelstahl ausgekleidet wurde. Es dreht sich wirklich alles – ganz trivial – um Hygiene. Wobei, das wissen wir jetzt schon aus Infektionsversuchen, es auch hier keine perfekte Lösung geben kann. Denn die Keimzahl, die genügt, um ein Küken zu infizieren, ist extrem gering. Wir reden hier von zehn bis 100 Erregern. Das ist weniger, als wir es etwa von den Salmonellen kennen. Ein Zustand, der uns das Leben schwer macht, uns aber auch zum nächsten Punkt bringt: zur Darmgesundheit.
„Ist ein Platz im Darm erst einmal besetzt, dann bleibt das so. Ein zweiter Erreger hat es nun sehr schwer, sich zusätzlich anzusiedeln.“
Frage: Gut, lassen Sie uns also über Darmgesundheit sprechen. Woran forschen Sie?
Rösler: Wir haben zwei Richtungen. Zum einen fragen wir uns, was wir mit stabilisierenden diätetischen Maßnahmen erreichen können. Der Trend geht mehr und mehr zu ener-gieärmeren Futtermitteln. Die Tiere wachsen langsamer, protrahierter, wodurch sich die Wirtschaftlichkeit noch nicht einmal verschlechtern muss. Hierhin führt ein Weg. Ein anderer geht in Richtung kompetitiver Keimflora. Was meinen wir damit? Jedes Küken kommt über die Brutei-Desinfektion erstmal naiv, also keimfrei, auf die Welt. Wenn dieses Küken in seiner Umgebung auf den ersten Keim trifft, wird es von ihm kolonialisiert. Das ist völlig klar. Ist ein Platz im Darm erst einmal besetzt, dann bleibt das so. Ein zweiter Erreger hat es nun sehr schwer, sich zusätzlich anzusiedeln. Jetzt stellt sich doch die spannende Frage: Wie lässt sich das für uns nutzen? Wie können wir die Ersten sein, die eine Darmnische gezielt und in unserem Sinne positiv besiedeln – und damit für eine unerwünschte Flora besetzt halten? Derzeit experimentieren wir hier mit angesäuertem Tränkwasser, das wir frisch eingestallten Küken verabreichen.
Frage: Das heißt, es geht in der Resistenzforschung um das Außen, also Stall und Umgebung, aber auch um das Innen, den Verdauungstrakt. Beide sollten möglichst wenig oder keine resistenten Erreger aufweisen …?
Rösler: Ja, es gibt verschiedene Ansätze, die ineinandergreifen: Die Hygiene muss stimmen, die Diät muss passen. Wunderbar und ein großer Fortschritt wäre zudem, wenn die Veterinärmedizin mit besagter protektiver Keimflora arbeiten könnte. Auf sie setzen bereits Betriebe in der Schweiz und in Skandinavien, übrigens mit großem Erfolg. Die positive Wirkung ist für uns Wissenschaftler ganz klar belegt, das Ganze muss aber in der EU zulassungsfähig sein – und das ist in der Umsetzung ausgesprochen anspruchsvoll. Es fehlen noch viele Grundlagen, innerhalb von EsRAM arbeiten wir daran.
Frage: Einige Hoftierärzte und Landwirte stärken bereits bewusst die Darmflora ihrer Tiere und füttern phytogene Extrakte. Aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Rösler: Wenn Mastbetriebe heute schon phytogene Zusatzfutter-mittel einsetzen, dann hat dies einen darmstabilisierenden Effekt. Das wissen wir. Zudem wirken sie auf spezielle Keimgruppen und dämmen sie ein. In einem EsRAM-Arbeitsgebiet haben wir das insbesondere für resistente Enterobakterien, kurz: ESBL, ermittelt. Auch aus der Arbeit mit Präbiotika und Probiotika wissen wir, welche positiven Effekte eine gesunde Darmflora mit sich bringt. Immer geht es letztlich darum, die Kolonisierung des Darms mit resistenten Erregern zu reduzieren.
Frage: Zum Abschluss bitte ich Sie um einen kurzen Ausblick. Was bringt EsRAM praktisch für die Nutztierhaltung?
Rösler: Liegen die Ergebnisse der einzelnen Teilprojekte vor, wird das ‚Bundesinstitut für Risikobewertung’ die entwickelten Maßnahmen übergreifend für die gesamte Masthähnchen-Produktionskette bewerten. Wie sich die einzelnen Maß-nahmen – und deren Kombination – auf die Reduktion von resistenten Erregern auswirken, soll sich ähnlich einem Baukasten-System darstellen lassen. Aus diesem System sollen später Landwirte und Integrationen auswählen können, entsprechend ihrer Rahmenbedingungen und ihrer jeweiligen Situation.
An dem bundesweit arbeitenden Forschungsverbund EsRAM sind beteiligt: die Freie Universität Berlin (Koordination), die Justus-Liebig-Universität Gießen, die Universität Leipzig, das Leibniz-Institut für Agrartechnik Potsdam-Bornim, das Bundesinstitut für Risikobewertung Berlin und das Friedrich-Loeffler-Institut Jena. Hauptpartner der Wirtschaft sind der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft mit zwei seiner Mitgliedsbetriebe sowie zwei Unternehmen im Bereich der Biologika-Forschung: Boehringer Ingelheim Vetmedica und EW Nutrition.