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„Wer über Tiere spricht, macht den Menschen zum Thema“

10. April 2017

TierethikInterview zum Thema Tierethik mit Prof. Dr. Herwig Grimm

Er gehört zu einer besonderen Spezies: Prof. Dr. Herwig Grimm absolvierte eine Ausbildung zum Landwirt und lehrt heute als Professor für Philosophie. Auch angehende Tierärzte sitzen in seinem Hörsaal. Sein Thema: Tierethik.

Frage: Professor Grimm, wo unterscheiden sich Tierethik und Tierschutz?

Prof. Dr. Herwig Grimm:  Ein Tierethiker ist nicht automatisch Tierschützer. Tierethiker beschäftigen sich mit dem moralischen Verhältnis von Mensch und Tier, wir reflektieren es wissenschaftlich, um es besser zu verstehen. Auch wenn das so gewonnene Wissen gesellschaftspolitische Relevanz besitzt, ergreifen wir keine Partei, wir sind keine Schiedsrichter und auch keine Entscheidungsträger.


Frage: Dieser Punkt scheint Ihnen am Herzen zu liegen …

Grimm:  Oh ja. Ethiker versuchen, Konflikte zu verstehen und Lösungsideen zu bieten. Es geht auch darum, Brücken zu bauen, damit sich etwas bewegen kann. Moralisierte Debatten, deren Zielrichtungen schon im Vorfeld feststehen, zementieren nur die Fronten.


Frage: Sie unterrichten Philosophie auch an der veterinärmedizinischen Universität in Wien. Warum eigentlich?

Grimm:  Die Mensch-Tier-Beziehung unterliegt einem gesellschaftlichen Wandel. Bei den Veterinären prallen die Folgen beinhart aufeinander. Sie leben quasi im Wertekonflikt. Zudem in einer unübersehbaren Widersprüchlichkeit: Der Schäferhund wird kostspielig operiert, die Produktionseinheit Kuh zum Abdecker gebracht, sobald sie keine Leistung mehr bringt. Und das angesichts einer Berufsordnung, die seitens der Bundestierärztekammer besagt: ‚Aufgrund der fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten ist jede Tierärztin und jeder Tierarzt in besonderer Weise zum Schutz der Tiere berufen und verpflichtet. Damit müssen Sie erst einmal umgehen.


Frage: Erzählen Sie doch bitte von sich. Wie wurden Sie Landwirt und Philosoph?

Grimm: Nutztiere interessierten mich von Kindesbeinen an. Da ich – nach meinen Kaninchen und Schafen – auch mein späteres Pferd selbst verpflegen wollte, suchte ich mir eine Schule in der Nähe. Dass sie eine Ausbildung in Landwirtschaft, Lebensmitteltechnologie und Milchwirtschaft anbot, war eher ein glücklicher Zufall. In Österreich ist eine praktische Ausrichtung ja schon während des Abiturs möglich. Nach einer anschließenden Zeit in England – hier in der biodynamischen Landwirtschaft – arbeitete ich als Betriebshelfer. Danach wollte ich Bauer werden. Es gab sogar schon einen Hof in Aussicht.


Frage:  Und dann?

Grimm: Dann kam alles anders. Ich hatte den Wunsch, zu studieren, bevor es mit dem Hof losgehen sollte. Während der vergangenen Jahre hatte ich so viele Formen von Landwirtschaft und Tierhaltung gesehen, dass ich die für mich richtige herausfinden wollte. Das versprach ich mir von der Philosophie, die ich mit den Schwerpunkten Ethik und angewandte Ethik zunächst in Salzburg und Zürich studierte. Später, an der Ludwig-Maximilians Universität in München, übernahm ich ein erstes interdisziplinäres Projekt zur Ethik in der Nutztierhaltung. Ein Thema, das mich bis heute fesselt und zu dem ich auch promovierte. Um den Hof war es damit jedoch geschehen.


Frage: Sie haben tatsächlich Philosophie studiert, um sich in der Landwirtschaft zu orientieren?

Grimm: Ja, natürlich. In einer immer komplexer werdenden Welt suchen die Menschen nach Orientierung. Die Philosophie kann dabei helfen, neue Wege aufzuzeigen, neue Denkrichtungen. Sie erlebt gerade im Moment eine wahre Renaissance: Es gibt Technik-Ethik, Ingenieur-Ethik, sogar Sport-Ethik. In der angewandten Ethik suchen Geisteswissenschaftler nach neuen Lösungsideen, indem sie ganz praktische gesellschaftliche Teilbereiche unter moralischnormativen Gesichtspunkten reflektieren.“


Frage: Das erinnert mich an ein Interview, das Sie an anderer Stelle gaben. Dort sahen Sie unsere Gesellschaft in „Moralin schwimmen“ und spielten darauf an, dass uns die Komplexität unserer Lebensverhältnisse zunehmend überfordert.

Grimm: „Ja, auch darum kann es gehen. Wie verhalte ich mich gut und richtig auf dieser Welt? Diese Frage zu beantworten, ist gar nicht leicht. Denn: Darf ich noch Fernreisen machen? Was für eine Klimabilanz hat der Apfel, den ich kaufen will? Auf welche Schule soll ich mein Kind schicken? Unser Leben zeigt sich in tausend Kleinigkeiten wahnsinnig kompliziert. Tiere, die ich gut versorge, machen es mir verhältnismäßig leicht, mich als verantwortungsbewussten, moralisch korrekten Bürger zu zeigen.


Frage: Kann eine moderne Gesellschaft, die weder altern noch sterben möchte, eigentlich damit umgehen, dass Nutztiere sterben müssen? 

Grimm: Tod, Krankheit und Alter bekämpft unsere Gesellschaft oder verschließt sie hinter Mauern. Sie will sie nicht sehen – und doch beschäftigen sie jeden Menschen. Natürlich reflektieren wir unsere Vorstellungen von Tod auch über das Tier. Dabei können wir übrigens viel über unsere eigenen Bedürfnisse lernen.


Frage: Sie beackern ein durchaus anspruchsvolles Feld. Wie hilfreich ist Ihnen da Ihre ganz praktische Erfahrung in der Landwirtschaft?

Grimm: Sie ist ungeheuer wichtig! Von Anfang an ging es mir darum, die Bauern mit ins Boot zu holen. Es ist doch faszinierend, wofür die Landwirtschaft steht: für Erde, Wasser, Luft, für Mensch, Tier. In der Frage nach einer guten Mensch-Natur-Beziehung läuft hier alles zusammen. Deshalb obliegen der Landwirtschaft auch viele gesellschaftliche Anliegen. Sie steht für Werte! Und die müssen einer Gesellschaft aus verantwortungsbewussten Bürgern auch etwas wert sein. Es geht um uns alle. Nicht um die Produzenten hier und die Konsumenten da.


Frage: Sie spielen auf mediale Lagerkämpfe an?

Grimm: Nicht nur. Wir sollten uns daran gewöhnen: Solange Tier und Mensch zusammenleben, wird es Interessenkonflikte geben. Es hilft uns nicht weiter, von einem Garten Eden zu träumen. Gerade die Tierethik verdeutlicht: Wir leben in keiner idealen Welt – und vielleicht ist sie auch niemals zu haben. Trotzdem gilt es für uns Menschen, Verantwortung zu übernehmen, an Verbesserungen zu arbeiten. Es ist ein fortlaufender Prozess.


Frage: Wenn Sie an Ihre landwirtschaftliche Praxis zurückdenken, steckten Sie da auch in Interessen- und Wertekonflikten – also so ganz praktisch?

Grimm: Rückblickend schon. Ich erinnere mich oft an einen kleinen Hof im Voralpengebiet, auf dem ich als Betriebshelfer aushalf. Mit einem halben Dutzend Kühen werkelten wir da vor uns hin. Eine Kuh hatte bei einer Flaschenzug-Geburt einen Beckenbruch erlitten, der nie richtig behandelt wurde. Sie stand nur zum Fressen auf, beim Stehen hatte das Tier offensichtliche Schmerzen. Das war einfach so, wir waren alle daran gewöhnt. Heute würde mir so eine Tatenlosigkeit hoffentlich nicht mehr passieren, so etwas geht einfach nicht. Wenn ich wirklich vor etwas warnen möchte, dann vor Gewöhnung. Und vor einfachen Patentlösungen wie ‚small is beautiful‘.


Frage: Sie erwähnten, dass die Mensch-Tier-Beziehung einem aktuellen gesellschaftlichen Wandel unterliegt. Wie sieht der aus?

Grimm: Vor rund 10.000 Jahren begann der Mensch, mit dem Tier unter einem Dach zu leben. Mit den Nutztieren! Heute lebt er auch noch mit Tieren zusammen, aber mit Streicheltieren. Wer als Kind mit Hund und Katze aufwächst, der lernt: Tiere sind Familienmitglieder, sie sind Partner. Daraus erwächst ein völlig anderes Konzept, das unsere Gesellschaft aktuell verhandelt. Dies zu beobachten ist für uns Ethiker extrem spannend. Schließlich sitzt bei einem großen Teil der Bevölkerung das Tier einerseits am Esstisch, andererseits liegt es auf ihm. Das wirft von ganz allein moralische Fragen auf.


Frage: In den 1950er Jahren arbeitete noch fast jeder Fünfte in der Landwirtschaft. Viele Menschen hatten einen Bezug zur Tierhaltung. Von all den Kaninchen und Hühnern in Omas Garten ganz zu schweigen. Wie schaut nun eine urbane Industrienation im Jahre 2014 auf Tiere?

Grimm: Dazu fällt mir eine interessante US-Studie ein. Sie stellte die Frage: Wenn Sie auf eine einsame Insel müssten und dürften nur ‚Einen‘ mitnehmen, wer wäre das? 57 Prozent der Befragten antworteten: mein Haustier. Für mich folgt daraus: Die Haltungs- und Nutzungsformen der Landwirtschaft betrachten Bürger von Industrienationen aus der Perspektive ‚Tiere als Familienmitglieder und Partner.


Frage: „Wer über Tiere spricht, macht den Menschen zum Thema“, das schrieben Sie in einem Ihrer Fachartikel. Könnten Sie erklären, was sich hinter dieser Gleichung verbirgt?

Grimm: Egal ob ich über meinen Computer nachdenke oder über meinen Hamster: Ich beginne immer bei mir als Erkenntnissubjekt. Von ihm gehe ich aus. Deshalb liegt vielen auch mehr an Menschenaffen als an Regenwürmern. Der Gorilla ist uns – mutmaßlich – ähnlich, er ist intelligent. Aber folgt daraus ein Recht, ihn stärker zu schützen als Fische oder Mäuse?“


Frage: Was folgt daraus für Sie als Ethiker?

Grimm: Zurückhaltung. Wir dürfen nicht vorschnell darin sicher sein, was uns da gegenübertritt und welche Ansprüche es an uns richtet. Wir können in kein Tier hineinschauen. Wir schauen es immer nur an – mit unserer menschlichen Perspektive, die sich nie ganz heraushalten lässt.

Frage: Und das wiederum bedeutet?

Grimm: Tiere sind kulturell geschaffene Wesen. Das Tier an sich gibt es nicht. In unseren Wahrnehmungen und Vorstellungen, die historischen Veränderungen unterliegen, taucht es als das auf, was wir jeweils aus ihm machen.


Frage: Was geben Sie nun einem Landwirt oder einem Veterinär an die Hand, der sich mit Ethik auseinandersetzt, der Orientierung sucht?

Grimm: Wo immer für ihn praktische Möglichkeiten bestehen, Tierwohl voranzubringen, sollte er sie ergreifen. Stößt er an Rahmenbedingungen, die Verbesserungen gar nicht erst zulassen, dann verschiebt sich die Verantwortung auf eine neue Ebene: Tierwohl ist auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Verantwortungsvolle Bürger müssen sich die Frage stellen, ob und wie die Rahmenbedingungen für Landwirtschaft weiterentwickelt werden sollen. Auf die Veterinärmediziner kommt hier eine besondere und eine große Aufgabe zu.

 

Prof. Dr. Herwig Grimm lehrt seit 2011 als Professor für Philosophie und „Ethik der Mensch-Tier-Beziehung“ an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Universität Wien.

Quelle: “Zum Hofe” (Ausgabe 1/2014)

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