
Fachtagung zum Verzicht auf betäubungslose Ferkelkastration – Vortrag von QS-Geschäftsführer Dr. Hermann-Josef Nienhoff
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und QS veranstalteten am 9. Juni 2016 gemeinsam eine Fachtagung zum Thema Verzicht auf betäubungslose Ferkelkastration – Fahrplan bis 2019. Auf der Tagung in Berlin hielt QS-Geschäftsführer Dr. Hermann-Josef Nienhoff einen Vortrag, in dem er über die achtjährige Arbeit der Koordinierungsplattform „Verzicht auf betäubungslose Ferkelkastration“ resümierte. Gleichzeitig erläuterte er den rund 200 anwesenden Fachleuten aus der Land- und Fleischwirtschaft, der Fleischverarbeitung, dem Lebensmitteleinzelhandel sowie aus Politik, Wissenschaft, Tierschutz und Tierärzteschaft, welche Herausforderungen angegangen werden müssen, um bis 2019 einen geordneten, aus Tierschutzsicht vertretbaren und für alle wirtschaftlich gangbaren Weg aus der chirurgischen Ferkelkastration ohne Betäubung zu erreichen. Hier finden Sie eine Zusammenfassung des Vortrags:
Dr. Hermann-Josef Nienhoff über…
… die Diskussion zum Umsetzungsdatum 1. Januar 2019
„Jetzt geht es in den Endspurt. Der 1. Januar 2019 steht und das Umsetzungsdatum wird nicht infrage gestellt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt dürfen in Deutschland Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden – eine jahrhundertealte, bewährte Praxis muss sich ändern. Jetzt kommt es darauf an, Planungssicherheit herzustellen, möglichst einen gemeinsamen Fahrplan abzustimmen – nicht zuletzt, damit wir in der Schweineproduktion und -vermarktung auch zukünftig vertrauensvoll und zuverlässig zusammenarbeiten können.
Im Markt werden teilweise bereits Termine für „Zwischenspurts“ angekündigt – wie etwa das Datum 1. Januar 2017. Wie gehen wir damit um? Die Änderung des Tierschutzgesetzes mit dem Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration datiert vom 13. Juli 2013. Seit drei Jahren kennen wir also die eindeutige Zielmarke. Spätestens am 1. Januar 2019 muss der Verzicht auf die betäubungslose Ferkelkastration erreicht sein. Bis dahin sind zahlreiche Facetten und Details zu beachten. Dazu muss aber jetzt eine Folgenabschätzung zusammengestellt werden, um für betriebliche Entscheidungen Risiken und Chancen in der Umstellung abwägen zu können.“
… die bisherige Arbeit der Koordinierungsplattform „Verzicht auf betäubungslose Ferkelkastration“
Die Wirtschaft packt das Thema an – und das nicht erst jetzt, sondern seit mindestens acht Jahren – koordiniert und konzertiert, u.a. über die Koordinierungsplattform „Verzicht auf betäubungslose Ferkelkastration“. Seit Anfang 2009 bringt sie die Initiativen der Wirtschaftsketten (Schweinehalter, Schlachtunternehmen, Verarbeitungsindustrie und Lebensmitteleinzelhandel) zusammen und fördert den Meinungsaustausch mit Vertretern aus Wissenschaft, Politik, Tierschutz, Verbraucherschutz und Tierärzteschaft. Basis für diese Koordinierungsarbeit ist die Düsseldorfer Erklärung vom 29. September 2008, in der QS vom Deutschen Bauernverband e.V., dem Verband der Fleischwirtschaft e.V. und dem Hauptverband des Deutschen Einzelhandels e.V. die Umsetzung des gemeinsamen Vorgehens übertragen wurde.Im Januar 2009 fand die erste Sitzung der Koordinierungsplattform statt – insgesamt waren es bis heute zwölf sehr gut besuchte, breit getragene Veranstaltungen der Koordinierungsplattform. Im Vordergrund stand der Austausch von Erkenntnissen, Arbeitsprogrammen, aber auch der Anschub von Projekten und Förderanträgen.
Alle Verantwortlichen sprechen sich mit Nachdruck für ein gemeinsames und aktives Vorgehen aus, um rechtzeitig einen geordneten, aus Tierschutzsicht vertretbaren und für alle wirtschaftlich gangbaren Weg aus der chirurgischen Ferkelkastration ohne Betäubung zu erreichen. In den letzten Jahren ist viel angepackt, angestoßen, ausgetauscht worden.Eine echte, umfassende Koordination stößt zwar hier und da an Grenzen – wenn es beispielsweise um Unternehmensinteressen oder auch Fakultäts-/Lehrstuhlinteressen geht. Unterm Strich haben wir aber viel bewegt. Was bis heute geschehen ist und erreicht wurde, haben wir in der Chronik der Koordinierungsplattform zusammengefasst. Jetzt müssen sich die Wirtschaftspartner „aufeinander einstellen“, wie es die Bundesregierung formuliert hat. Jetzt geht es darum, die „Dinge bis zum Ende zu denken“, die Folgenabschätzung vorzunehmen und die Planbarkeit zu erreichen: Damit wir auch zukünftig, verbraucherorientiert handeln, tiergerechte Verfahren anwenden, marktgerechte Lösungen erreichen und über eine abgestimmte Zusammenarbeit der Wirtschaft so erfolgreich bleiben, wie es die ganze Branche seit Jahren auszeichnet.“
… die möglichen Auswirkungen für die Betriebs- und Marktstrukturen in der Fleischwirtschaft
„Klar ist, dass der Ausstieg nicht ohne Veränderungen auf allen Stufen möglich sein wird. Spätestens am 1. Januar 2019 muss der Verzicht auf die betäubungslose Ferkelkastration erreicht sein. Hier sind besonders die Auswirkungen auf Betriebs- und Marktstrukturen, auf Mast- und Zuchtbetriebe sowie auf den innereuropäischen Handel mit Schweinen und Schweinefleisch zu prüfen. Auch regionale Besonderheiten sind zu beachten.
Für ganz wichtig hält die Koordinierungsplattform folglich eine umfassende Folgenabschätzung: Welche Auswirkungen sind in Bezug auf die Betriebs- und Marktstrukturen in der Fleischwirtschaft zu erwarten? Wird es gespaltene Märkte, neue und differenzierte Absatz- und Beschaffungswege geben?Entstehen hier Transaktionskosten? Wie sind die Auswirkungen auf die schweinehaltenden Betriebe und zwischen den Betrieben, etwa zwischen Sauenhaltern und Mästern? Wie verändert sich der Handel mit Schweinefleisch, Schlachtschweinen und gerade auch mit Ferkeln – und das nicht nur in Deutschland, sondern auch über die nationalen Grenzen hinweg? Denken Sie allein an den Import von Ferkeln und Schlachtschweinen aus Dänemark und den Niederlanden. Deutschland ist keine Insel, hat aber in Sachen Ferkelkastration ab 2019 eine Insellösung in der europäischen Gemeinschaft. Die Wirtschaftsbeteiligten, ob LEH, Schlachtbetriebe, Fleischwarenhersteller oder das Fleischerhandwerk, brauchen Planungssicherheit; erst recht die Schweinehalter und mit ihnen auch die betreuenden Tierärzte und Berater.
Fest steht: Tierschutz darf nicht an Staatsgrenzen aufhören. Beim Bezug von Ferkeln, Schlachtschweinen und Schweinefleisch aus dem Ausland und hier insbesondere aus der EU sollten bei den Anforderungen an die Ferkelkastration die gleichen Maßstäbe angelegt werden wie bei der Erzeugung in Deutschland. Um die Folgen von Marktspaltungen abzufedern, halten daher alle Wirtschaftsbeteiligten eine Gleichbehandlung innerhalb des QS-Systems notwendig: Aufgrund fehlender europaweiter Regelungen sollten damit die Anforderungen zur Ferkelkastration auch konsequenterweise für Ferkel, Mastschweine und Schweinefleisch gelten, die ab 2019 aus dem Ausland ins QS-System geliefert werden.“
…die Alternativverfahren zur betäubungslosen Ferkelkastration
„Auch nach acht Jahren haben wir heute kein sicheres, eindeutiges Verfahren. Zwar haben wir Übergangslösungen erarbeitet, um den Prozess der Umstellung auf die Ebermast nicht aufzuhalten. Wenn wir uns zu Anfang ausschließlich auf die Ebermast konzentriert haben, so haben wir die Lösungen in den letzten Jahren offengehalten – also auch Ebermast mit Impfung und verschiedene Ansätze der Betäubung. Ein weiterer Schwerpunkt war durchgängig die Geruchsfrage. Analytisch sind wir hier auch viel weiter, aber noch nicht in der sicheren Routine. Die Schlachtbetriebe haben praktikable Wege für die menschliche Nase umgesetzt und seit Juli 2012 konnte das auch halbwegs gut standardisiert werden. Im QS-Leitfaden „Schlachtung“ wurden einheitliche Anforderungen an die ausgebildeten Experten am Schlachthof festgelegt. Zudem haben wir bereits seit April 2009 über QS auch die Verpflichtung zum Schmerzmitteleinsatz bei der Kastration. Aber wir können damit nicht zufrieden sein.
Angesichts der Tatsache, dass noch viele Fragen offen sind, in der Praxis zurzeit erst in begrenztem Umfang auf die betäubungslose Ferkelkastration verzichtet wird und einzelne Marktbeteiligte zu einem vorzeitigen Termin den Verzicht anstreben, sind erhebliche Zielkonflikte absehbar. Aktuell zeigt sich: Beim Verzicht auf die betäubungslose Ferkelkastration bieten sich den Schweinehaltern die Wege der Kastration mit Schmerzausschaltung/Betäubung, Jungebermast sowie Impfung gegen Ebergeruch (Immunokastration). Es ist nicht davon auszugehen, dass zukünftig nur eine einzige Vorgehensweise flächendeckend umgesetzt wird. Bisher hat sich keines der genannten Verfahren breit in der Praxis etabliert. Die Erfahrungen und Praxistests zeigen, dass jedes Verfahren Vor- und Nachteile mit sich bringt und unterschiedliche Risiken birgt. Dabei sind zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen – sowohl für die Ferkelerzeugung und Schweinemast als auch für die Schlachtunternehmen, die Fleischwarenindustrie, den Handel sowie die Verbraucher.
Unsere Wissenschaftler haben ganz viel geleistet und wichtige Erkenntnisse hervorgebracht. Dies gilt für alle Fragestellungen, etwa zur Geruchsbestimmung, Züchtung, Haltung oder Verarbeitung. Folglich brauchen wir die Forschung auch weiterhin dringend! Weiter geforscht werden muss beispielsweise in Bezug auf die tierschutzrelevanten Aspekte der Alternativverfahren, zu Fragen der Schmerzausschaltung oder der Züchtung. Andere Forschungsschwerpunkte müssen die automatische Geruchsdetektion am Schlachtband und die Verarbeitungstauglichkeit sowie die Verbraucherakzeptanz sein. Diese und andere Punkte sind in dem Eckpunktepapier festgehalten, das die Koordinierungsplattform im April dieses Jahres beraten und verabschiedet hat.“