Wer sich mit Dr. Bernhard Kegel unterhält, dem kann es zuweilen unheimlich werden. Seit 2013 beschäftigt sich der Naturwissenschaftler mit Bakterien und anderen Mikroben. Sie wurden international zu einem technikgetriebenen Forschungsgegenstand, der sich zurzeit selbst überholt. Auch wenn die Entwicklung noch in ihren Kinderschuhen steckt, ist heute schon klar: Jeder Mensch lebt im Austausch mit Millionen anderer Organismen. Sie bilden in jedem Einzelnen von uns ein hoch individuelles Biokonglomerat, von dem wir noch längst nicht wissen, was es mit uns – ganz persönlich – macht.
Es heißt, Mikrobiologen stellen derzeit unser biologisches Weltbild auf den Kopf. Worin liegt die Revolution?
Dr. Kegel: „Wir lebten bislang in der Annahme, die meisten Organismen, einschließlich des Homo sapiens, seien autarke Einzelwesen. Diese Vorstellung ist für uns eine Selbstverständlichkeit, für Wissenschaftler ebenso wie für Laien. Diese Selbstverständlichkeit entpuppt sich nun zunehmend als ein fundamentaler Denkfehler.“
Bevor wir inhaltlich einsteigen: Wie kam es überhaupt zu den vielen neuen Forschungsergebnissen?
Dr. Kegel: „Sie sind eine Folge des Human-Genom-Projekts. Sie erinnern sich sicherlich an das internationale Forschungsvorhaben, das 1990 antrat, um das menschliche Genom zu entschlüsseln. Mit Hilfe der hier eingesetzten Sequenzierungstechnik, leistungsstarken Robotern und ebensolchen Computern lassen sich sehr leicht ungeheure Datenmengen generieren. DNA-Schnipsel genügen, um einzelne Mikroben auszumachen, die noch nie jemand zu Gesicht bekam. Untersuchen Sie beispielsweise ein Gramm menschlichen Darminhalts, dann stoßen Sie auf bis zu einer Billion Bakterien. Man muss nur zehn Jahre zurückdenken, da blieb einem Wissenschaftler, der mehr über ein Bakterium wissen wollte, nichts anderes übrig, als es im Labor in Kultur zu nehmen. Ein mühseliges Verfahren. Zumal wir heute wissen, dass sich nur ein Prozent aller Bakterien auf diese Weise züchten lässt. Die die anderen 99 Prozent hatten wir bislang überhaupt nicht auf dem Schirm. Die neuen molekularbiologischen Methoden brachten tatsächlich eine Zeitenwende.“
Bislang galten Mikroben entweder als Krankheitserreger oder als primitive Trittbrettfahrer. Was sagt die aktuelle Forschung?
Dr. Kegel: „Sie hat die Mikroben als Symbionten entdeckt, als einen kleinen Organismus, der kooperativ mit einem großen Wirt agiert. Natürlich wusste die Biologie auch früher von Symbionten. Man denke nur an die einzelligen Verdauungshelfer im Rinderpansen oder die holzzersetzenden Untermieter im Termiten-Darm. Schlussendlich handelte es sich bei ihnen aber um ein paar seltene Orchideengewächse, die andächtig zu bestaunen waren. Heute wissen wir: Symbionten sind nicht die Ausnahme, sondern ein Prinzip des Lebens. Allein im Falle des menschlichen Organismus blicken wir auf Zehntausende von bislang unbekannten Mikrobenarten. Bakterien sind also viel mehr als irgendwelche Primitivlinge, die nur deshalb im Darm oder auf der Haut herumlungern, weil sie für ein selbsttätiges Leben viel zu faul sind. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben es hier mit einem wesentlichen Merkmal von Leben überhaupt zu tun.“
Bernhard Kegel lässt in seiner Erzählung eine Begeisterung und Entdeckerfreude durchblitzen, die an Forschungsreisende längst vergangener Tage erinnert. So wundert es nicht, dass der Diplom-Biologe einerseits als renommierter Wissenschaftsautor publiziert, anderseits als Schriftsteller von Krimis und Romanen. Aktuell schreibt der 63-jährige Berliner an einem – vorwiegend – fiktionalen Geschehen, das auf den Galapagosinseln spielt. Einem Archipel, den Kegel mittels Forschungsschiff 2013 selbst bereiste.
Wie erklärt sich die Vorherrschaft der Mikroben evolutionär?
Dr. Kegel: „Als vor 700 bis 800 Millionen Jahren tierisches Leben entstand, lag hinter den Bakterien bereits eine Evolution, die drei Milliarden Jahre zählte und eine Omnipräsenz der Winzlinge schuf. Was auch immer sich die Natur für die komplexer werdenden Pflanzen und Tiere ausdachte, Mikroben waren dabei: als Nahrung, als Krankheitserreger, aber auch als Partner, Helfer und Impulsgeber. So entstand nicht nur der Mensch – es entstand direkt ein ganzer Holobiont.“
Das komplette Interview mit Dr. Bernhard Kegel finden Sie in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins “Zum Hofe”, dass sie in unserem Medienkatalog ansehen und herunterladen können.
1 comment on ““Du bist nicht allein” – Interview zur neueren Mikrobenlehre mit Dr. Bernhard Kegel”
Danke für dieses äußerst interessante und aufschlussreiche Interview mit Herrn Dr. Bernhard Kegel, dessen Texte ich schon immer gerne gelesen habe.
Bitte mehr davon!